„Das Beunruhigende ist, daß man keine Mafia mehr für derlei Wirtschaftskriminalität braucht“

■ Gespräch mit Luciano Violante, Mitglied der Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments

Violante, ehemaliger Ermittlungsrichter, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender des „Partito democratico della sinistra“.

taz: Mafia und Wirtschaft: entsteht durch die immensen Rückflüsse von Kapitalien aus den Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität mittlerweile auch in Europa die Gefahr einer politischen Dominanz der Unterwelt?

Luciano Violante: Anlaß zur Sorge besteht. Daß mafiose Gruppen das, was sie in Sizilien erfolgreich praktiziert haben, auch anderwärts versuchen, ist mittlerweile belegt, also die Korrumpierung von Entscheidungsträgern, Administratoren, ja Teilen der Regierung. Daß das nicht auf demokratische Weise geht, ist evident. Wie weit die Existenz kriminellen Kapitals bereits die Politik, etwa in Italien, direkt beeinflußt, hat sich bei der Frage des Gesetzes gegen Geldwäsche gezeigt: Unser Schatzminister Guido Carli, ehemaliger Notenbankpräsident und ansonsten kein schlechter Ressortchef, hat gegen das Gesetz optiert — mit der Begründung, daß, wenn (wie das Gesetz verlangt) die Herkunft größerer Kapitalien immer nachweisbar sein muß, eine so große Menge Geld aus Italien abfließen würde, daß die italienische Wirtschaft direkt geschädigt würde.

Welche Art Kapital würde da abfließen?

Flüssiges Kapital vor allem, Aktien, Wertpapiere, Geld aus Kapitalgesellschaften. Mafiose Gruppen haben in den achtziger Jahren ihre Einnahmen zu einem ansehnlichen Teil in Banken angelegt, ganze Banken gekauft oder eigens zum Recycling gegründet. Seit Mitte der 80er Jahre das Antimafiagesetz das Bankgeheimnis durchlöchert hat, sind die Gruppen dazu übergegangen, statt dessen Finanzgesellschaften zu nutzen, die weniger kontrolliert werden können. In Trapani, westlich von Palermo, etwa hat sich die Zahl der Finanzgesellschaften in den letzten fünf Jahren verdreifacht, die Stadt mit kaum 100.000 Einwohnern hat die größte Zahl derartiger GmbHs in ganz Europa.

In Italien wird Organisierte Kriminalität gerne mit dem „Süden“ identifiziert. Stimmt das noch?

Längst nicht mehr. Die Gruppen spekulieren seit langem an der Börse, kaufen Wertpapiere auch des Staates und dehnen dieses System mittlerweile wohl auch auf andere europäische Staaten aus. In Italien wissen wir bereits, daß schon mehrere Male die Mailänder Börse zusammengebrochen wäre, hätte da nicht mafioses Kapital ausgeholfen.

In den 70er Jahren hat das Privatbankimperium des Michele Sindona mafioses Geld gewaschen und auch schon zum Beispiel Waffengeschäfte finanziert. Als Sindona in Amerika ins Kittchen wanderte, sprang sofort die Mailänder Banco Ambrosiano ein, die der kriminellen Geheimloge „Propaganda2“ gehörte und nur teilweise mafioses Geld verwendete; sie finanzierte unter anderem die argentinische Kriegswirtschaft. Der letzte große Waffenskandal lief über eine überhaupt nicht mafiose Bank, die Banco nazionale del lavoro, deren US-Filiale dem Irak illegal seine Aufrüstung finanzierte. Andererseits behaupten geständige Kriminelle im Zusammenhang mit dem wohl von den Tabakfirmen selbst dirigierten Riesenschmuggel amerikanischer Zigaretten, die kürzlich zum Verkaufsverbot von „Merit“ und „Marlboro“ in Italien führten, daß die Hersteller sogar Killer anheuern, wenn ihre Schmuggel-Partner sie übers Ohr hauen. Funktioniert Mafia auch ohne Mafia?

Für die große Wirtschaftskriminalität, so scheint es, braucht man längst keine Mafia mehr — das System als solches klappt eben. Das Ausland äußert oft Angst vor dem Einmarsch der Mafia in ihr Land — tatsächlich aber sind es oft einfach nur Nutzer dort schon existierender Strukturen, die das mafiose System abgucken. Und kein Land soll sich für immun dagegen halten.

Das Gespräch führte Werner Raith.