piwik no script img

Fischsterben

■ Liz Kings neuer Tanzabend „Westwest“

Ein lebender Kofferberg, der allmählich zu beben beginnt und zusammenbricht. Die Tänzerinnen und Tänzer liegen auf dem Boden, die Koffer sind auf der Bühne verstreut: eine Landstraße. Eigentlich müßte Charlie Chaplin auftauchen, das Stöckchen wirbeln und langsam davonwackeln, gen Westen, wo schon immer das Neue und Abenteuer gesucht wurden, wo derzeit und jederzeit der Glücksstern Marktwirtschaft leuchtet. Statt dessen machen sich die Tänzerinnen und Tänzer auf den Weg und versuchen tanzend weiterzukommen, ohne jemals anzukommen. Sie gehen von Ost nach West, oder eben Westwest.

Später am Abend: Sie liegen auf der Straße, ausgerichtet wie ein Schwarm Fische auf dem großen Zug, den es unglücklicherweise an Land gespült hat. Hin und wieder krümmt sich einer der Fische im Todeskampf, während vorne an der Rampe eine Silberfrau und ein Goldmann als die Reichen der Westwelt mit einer eigentümlichen Kältestrahlung tanzen. Auch wenn beide mit Stichworten wie „Geld“ und „Konsum“ überflüssigerweise auf ihre Funktion hinweisen müssen, zeigen Jessica Brown und Michael Dolan, welchen Standard die Choreogrphin Liz King mit ihrer Truppe inzwischen erreicht hat.

Ihre neueste Choreographie überrascht: Da ist zwar immer noch die eigenwillige Sprache der Choreographin, in der sie klassische Elemente, Körpersprache und fremd anmutende Zeichen zu einem dynamischen Bewegungsrepertoire verarbeitet; da ist aber auch das für ihre Begriffe weniger abstrakte Thema, das sie offenbar zu einer bildhafteren Choreographie angeregt hat: reiche Konsumwelt des Westens versus arme Flüchtlingswelt des Ostens. Manchmal sieht es so aus, als kämen Kontakte zwischen beiden Welten zustande, aber die Fremdheit bleibt. Skurrile Gestalten tauchen auf, wie aus Zeit und Raum gefallen, glatzköpfig und kleinwüchsig, als hätten Kafka und Beckett gleichzeitig Pate gestanden. Fremdartige Elemente ebenso wie Jimi Hendrix' Purple Haze, das in der Interpretation des Kronos- Streichquartetts fremd und reizvoll klingt.

Liz King benutzt gern avantgardistische Streichquartette als Tanzfolie; am Ende dieser Choreographie steht eine längere Komposition des Engländers Gavin Bryars. Eigentlich wäre der Tanzabend um Flucht, Exil und Fremdheit zu Ende, dürfte nicht noch ein Akkordeonspieler auf die Bühne — die Atmosphäre wird melancholisch, und das verträgt sich weniger gut mit dem, was Liz King choreographisch auf die Bühne zu bringen weiß. Jürgen Berger

Westwest. Ballett von Liz King. Bühne: Manfred Biskup, Kostüme: Rosemary Kaye, Akkordeon: Ivan Hajek. Mit Jessica Brown, Michael Dolan, Elisabeth Sykora, Hans Gubo, Nicola Melita u.a. Weitere Aufführungen: 22. und 30.Januar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen