Bankangestellte bestehen Mutprobe

Die Beschäftigten des Geldes entdecken die bisher unbekannten Wonnen des Warnstreiks  ■ Von Martin Kempe

Streiks hat die Metropole am Main schon öfters erlebt. Aber daß der Virus der Aufmüpfigkeit eines Tages bis in das Innerste dieser Stadt, bis in die glitzernden Hochhauspaläste der deutschen Großbanken, vordringen könnte, das hat selbst Hans Georg Stritter vor ein paar Jahren kaum zu hoffen gewagt.

Stritter ist Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) und Verhandlungsführer seiner Gewerkschaft beim gegenwärtig eskalierenden Tarifkonflikt mit den Banken. Am Dienstag nachmittag beim Protestfest von HBV und Deutscher Angestellten-Gewerkschaft (DAG) in den Frankfurter Messehallen konnte er befriedigt feststellen: Die Operation ist gelungen, in Frankfurt wurde am Dienstag erstmals in der deutschen Geschichte eine Großinstitution des deutschen Bankgewerbes, der Abrechnungsdienst der Kreditkarte Eurocard, ganztägig bestreikt. Und auch bei den Innenstadtfilialen der Frankfurter Großbanken regte sich gestern vielfältiger Tarifprotest.

Damit haben die Aktionen der beiden Angestellten-Gewerkschaften HBV und DAG einen Tag vor der heutigen vierten Verhandlungsrunde in Düsseldorf einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Rund 5.000 der 430.000 Bankangestellten in der westlichen Bundesrepublik, so schätzen die Gewerkschaften, haben sich gestern an Warnstreikaktivitäten beteiligt. In Berlin haben Beschäftigte der Grundkreditbank, wie schon am Freitag viele Angestellte bei der Dresdner Bank in München, die gewerkschaftliche Mutprobe bestanden und ihre Arbeitsplätze mittags aus dem laufenden Geschäftsbetrieb heraus für einige Zeit verlassen. In Karlsruhe, Mannheim, Braunschweig und Hannover haben die Gewerkschaften Kundgebungen organisiert.

Vom Verlauf der heutigen Verhandlungen hängt es ab, ob die Gewerkschaften sich gezwungen sehen, es auf eine Kraftprobe in einer Branche ankommen zu lassen, die bislang nun wahrlich nicht zu den leichtesten Feldern gewerkschaftlicher Organisations- und Mobilisierungsbemühungen gehörte. 10,5 Prozent und einen Sockelbetrag von mindestens 350 Mark fordern die Gewerkschaften von den Bankbossen. Und zusätzlich soll nach Meinung der HBV die Arbeitszeit in den Banken analog zur Entwicklung in den anderen Branchen von derzeit 39 Wochenstunden bis 1995 schrittweise auf 35 Stunden verkürzt werden. Die DAG fordert im Unterschied zur HBV keine Wochenarbeitszeitverkürzung, sondern zusätzliche freie Tage. Aber diese Differenz dürfte in der Praxis des Tarifpokers keine große Rolle spielen.

Die Arbeitgeber dagegen haben bislang nur 4,5 Prozent angeboten und keinerlei Arbeitszeitverkürzung in Aussicht gestellt. Sie hielten sich „streng an die Vorgaben von Möllemann“, konstatierte Stritter schon im Dezember vor Journalisten. Offensichtlich glaubten die Banker, sie müßten in diesem Jahr eine volkswirtschaftliche Mission erfüllen, weil ein überdurchschnittlich hoher Abschluß im Bankgewerbe ein unerwünschtes Signal für andere Branchen wäre. Deshalb mauern sie, obwohl sie selbst selten so fett verdient haben wie im letzten Jahr.

Bei der Deutschen Bank beispielsweise sind die Erträge in den ersten zehn Monaten von 1991 um 11,1 Prozent gestiegen. Die Dresdner Bank und die Commerzbank haben sogar 20,2 und 22,9 Prozent zugelegt. Angesichts derartiger Gewinnexplosionen sehen die Gewerkschaften keinerlei Grund zur Bescheidenheit.

Die HBV will in diesem Jahr bei den Banken zum großen Sprung ansetzen. Strategisch geht es der weitgefächerten Angestellten-Gewerkschaft darum, im Bankbereich einen zweiten mobilisierungsfähigen Sektor (neben dem Handel) aufzubauen. Ihr Organisationsgrad liegt derzeit bei rund 15 Prozent, mit der DAG zusammen sind rund 20 Prozent der Bankangestellten gewerkschaftlich organisiert. Der erste und bislang letzte Streik im Bankbereich liegt fast fünf Jahre zurück. Damals protestierten die Bankangestellten mit Warnstreiks gegen die geplante Einführung der Samstagsarbeit. Damals offenbarten die Banken auch ihre Achillesferse: Die Computerzentralen einiger Banken wurden zeitweise stillgelegt — es lief nichts mehr. Gegen die Stillegung ihres Zentralnervensystems haben sich die Banken inzwischen durch Dezentralisierung ihres Computernetzes gewappnet. Ohne eine breite Mobilisierung der Mitglieder in den Banken einschließlich der Filialnetze können die Gewerkschaften heute kaum noch Druck ausüben.

Auffällig ist die enge Kooperation zwischen HBV und DAG in diesem Tarifkonflikt, die bis in die Streikplanung geht. Wird diese Kooperation bis zu einem günstigen Ergebnis durchgehalten, wird dies auch Auswirkungen auf den Fortgang der Diskussion um die DGB-Reform haben. Dabei geht es auch um eine „Wiedervereinigung“ von DGB-Gewerkschaften mit der DAG zugunsten einer gemeinsamen Vertretung aller Angestellteninteressen. Aber auch der DGB-interne Konflikt um die zwischen HBV und ÖTV umstrittene Organisation der Sparkassen-Angestellten treibt die HBV in dieser Tarifrunde zu Höchstleistungen. Denn wenn sie den Bankangestellten am Ende ein deutlich besseres Ergebnis präsentieren kann als die unter viel stärkerem öffentlichen Druck stehende ÖTV, erhofft sich die HBV Sympathiegewinne bei den bislang von der ÖTV organisierten westdeutschen Sparkassenangestellten.