Sportstreik an Solinger Grundschule

Elterninitiative empört über nordrhein-westfälische Landesregierung/ Umweltministerium verweigert mit Hinweis auf zu hohe Kosten weitere Dioxin-Untersuchungen an SportlerInnen/ Dioxinbelastung 670mal höher als der Richtwert für Spielplätze  ■ Aus Solingen Henry Mathews

Seit Jahrzehnten setzt die Messerstadt Solingen Maßstäbe für Stahlqualität. Geht es nach Oberbürgermeister Gerd Kaimer, kommt nun ein Solinger Maßstab für den Umgang mit der dioxinhaltigen Kieselrot-Schlacke aus der ehemaligen Kupferhütte Marsberg hinzu. Mit einem Expertenhearing Anfang der Woche suchte Kaimer vor besorgten und empörten Eltern die Grundlage für eine Stadtratsentscheidung zur Sanierung mehrerer Kieselrot- Sportplätze in seiner Stadt zu schaffen. Die Solinger Stadtväter suchen einen Weg zwischen der Besorgnis der Bevölkerung und der Entwarnung der NRW-Landesregierung.

Nicht zufällig fand der beispielhafte Schlagabtausch zwischen abwiegelnder Landesregierung und den rund 150 aufgebrachten Eltern in Solingen statt. Dort bleiben seit Juni vergangenen Jahres die 300 SchülerInnen der Grundschule Böckerhof geschlossen dem Sportunterricht auf ihrem Kieselrot-Sportplatz fern. Und das, obwohl die Stadt Solingen derzeit keinen akuten Sanierungsbedarf für den Sportplatz sieht. Mit einem Wert von 67.000 Nanogramm (ng) Dioxin pro Kilogramm Bodenbelag steht der Platz nach Ansicht des Solinger Umweltdezernenten Jörn- Roland Rohde erst mittelfristig zur Sanierung an.

Der Sprecher der „Bürgerinitiative gegen Dioxinverseuchung“ Hanjo Bergfeld, bezeichnete das Vorgehen der Stadtverwaltung als skandalös und forderte die sofortige Sperrung des Platzes. Der Sportplatz werde auch von Kleinkindern als Spielfläche genutzt. Der für Spielplätze geltende Richtwert liege bei 100 ng Dioxin pro kg. Die Bürgerinitiative der Eltern betroffener SchülerInnen monierte außerdem, daß nicht einmal die von der Landesregierung bis zur Sanierung angeordnete ständige Befeuchtung des Platzes gewährleistet sei. „Sandsturmartig“ werde die dioxinhaltige Schlacke durch die Gegend gewirbelt.

Die meisten Prügel bezog bei dem Solinger Hearing Helmut Weber vom Landesgesundheitsministerium. Der Ministerialbeamte behauptete standhaft, er könne der Auffassung nicht folgen, „daß Dioxin in kleinen Konzentrationen zu irgendwelchen Schäden führt. Das ist nicht wahr!“ Auf krebserregende Wirkungen der Dioxine gebe es nur „vage wissenschaftliche Hinweise, die nicht abgesichert sind“.

Eine Mutter schimpfte: „Ich will nicht, daß an meinem Kind Versuche durchgeführt werden.“ Der von der Elterninitiative aufs Podium geladene Kieler Toxikologe Hermann Kruse erklärte, daß erst kürzlich der Welt-Dioxin-Kongreß die krebserzeugende Wirkung der Dioxine noch einmal einhellig bestätigt habe. Zudem seien Dioxine akut extrem giftig und könnten auch unterhalb der Nachweisgrenze chronische Gesundheitsschäden hervorrufen. Als typisch nannte Kruse Störungen des Immunsystems, des Fettstoffwechsels sowie des Vitamin-A-Haushalts.

Spannender noch war der Streit zwischen Weber und dem Hygiene- Institut des Ruhrgebiets in Gelsenkirchen (siehe taz vom 19.12.91). Ulrich Ewers vom Institut fand schon bei den bisherigen Untersuchungen von SportlerInnen, die lange Zeit auf Kieselrot-Plätzen Sport getrieben hatten, Verschiebungen der Dioxin- Werte, die denen von belasteten Marsbergern ähnelten. „Wir haben bisher aber zu wenige Untersuchungsergebnisse, um das wirklich hieb- und stichfest aussagen zu können. Gezielte Untersuchungen ausgewählter SportlerInnen können uns hier eine Antwort geben.“

Ministerialdirigent Weber winkte ab: „Keine fachliche Begründung.“ Die Kosten von rund 3.500 DM pro untersuchter Person seien angesichts der bisher ermittelten niedrigen Werte nicht gerechtfertigt. Als Ewers insistierte: „Macht weitere Untersuchungen“, konterte Weber mit der „Erinnerung“, das Hygiene- Institut lebe schließlich von solchen Untersuchungsaufträgen. Das Gesundheitsministerium führt die Staatsaufsicht über das Institut, wenngleich diese Aufsicht nach Auskunft von Institutsleiter Exner praktisch nicht in Form von Weisungen umgesetzt wird. Bis zur entscheidenden Stadtratssitzung am 30. Januar diesen Jahres müssen die Solinger BürgerInnen nun abwarten, zu welcher Einschätzung ihre VolksvertreterInnen beim Expertenhearing gekommen sind.

Sicher ist bislang nur eines: Ministerialdirigent Helmut Weber ist seit drei Wochen stolzer Träger des Bundesverdienstkreuzes.