Poseidon ist kein 'schlimmer Finger'

■ Die Figuren des Poseidon-Brunnens auf dem Domshof sind bereits zu bewundern

„... und stieg auf seinen Wagen, und ging und trieb durch die Wogen, es hüpften die Ungeheuer unter ihm überall her aus den Schlünden und verkannten nicht ihren Herrn. Und in Freude trat auseinander das Meer...“

(Homer, Ilias, 13. Gesang]

Trocken steht Poseidon mit erhobenem Dreizack auf blankem Marmor. Noch ist das Kunstwerk nicht eingeweiht, da monieren Bürger schon gefährliche Stufen, über die man stolpern könne und „herumhängende“ vermeintlich unfertige Bronzegestalten.

Vor dem Brunnen des griechischen Gottes auf dem Domshof bleiben die Passanten stehen, die Figuren sorgen für reichlich Gesprächsstoff. Kein Schild an der Baustelle gibt Hilfe zur Interpretation. Aussprüche wie: „Da muß man erstmal abwarten bis das Wasser läuft“ sind selten.

Das Werk des Worpsweders Waldemar Otto stellt den „unberechenbaren“ Meeresgott mit seinem Pferdegespann „in Marschrichtung Marktplatz“ dar, vor ihm tiefer im Wasser den mißmutig weissagenden Proteus mit Trompete, Nereus und zwei Nixen. Der Künstler sagt über seine „unfertigen“ Bronzen, daß er „zeigen wollte, wie die Skulpturen entstanden sind. Auf der Rückseite bleibt die Struktur der Wachsplatte sichtbar.“

Der Entstehung des Poseidonbrunnens ging eine lange Geschichte voraus. Vor 1939 gab es einen Wilhadi-Brunnen, der zwischen Dom, Bürgerschaft und Rathaus auf dem dortigen „Grasmarkt“ stand. Im 2.Weltkrieg wurde er, wie viele Bronzen, eingeschmolzen und in Kanonen umgegossen. Die Wiedererrichtung eines Wilhadi-Brunnens war vor Jahren die Ausgangsidee einer „Brunneninitiative“, daraus entspann sich ein reger Zwist zwischen katholischen und evangelischen Brunnenbefürwortern. Die Kunstkommission des Senats weigerte sich, Wilhadi dem „schlimmen Finger“ (Otto) ein Denkmal zu setzen. Denn der war Missionar und als erster Bischof in Bremen (um 850) am sogenannten „Sachsengemetzel“ bei Verden beteiligt.

Als Gegenentwurf drängte sich dem Künstler Waldemar Otto „Poseidon“ als Thema für die Seestadt Bremen förmlich auf. Die katholischen Brunnenförderer blieben allerdings bei ihrer Forderung nach Wilhadi, weil sie in ihm den Gründer Bremens sehen.

Das ca. 600.000 Mark teure Wasserspiel wurde aus Spenden und öffentlichen Mitteln finanziert. Zur Spendenaktion hatte Carlo Schreiber aufgerufen, der persönlich für die Wilhadi-Idee plädierte. Der Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst hat die Spenden angenommen. Einige SpenderInnen fühlen sich nun aufs Kreuz gelegt, da sie meinen für einen Wilhadi-Brunnen gespendet zu haben, aber stattdessen den „Poseidon“ bezahlt haben. Carlo Schreiber aber ist sich keiner Schuld bewußt: Er habe zum Spenden für ein „Wasserkunstwerk“ aufgerufen, sagte er zur taz, und ein solches sei schließlich der Poseidonbrunnen.

Voraussichtlich Ende März '92 soll erstmals „umgewälztes“ Wasser — insgesamt 260 Kubikmeter — um Poseidons Bauch spülen und aus den Nüstern der Pferde schäumen. Anja Rehling