INTERVIEW
: Investoren dürfen nicht als Bittsteller behandelt werden

■ Wirtschaftssenator Norbert Meisner(SPD) zum Aufschwung der Metropole: Verwaltung muß lernen, investitionswillige Unternehmen zu bedienen

taz: Ich habe mir sagen lassen, daß dem Wirtschaftssenator 700 »Instrumente« zur Wirtschaftsförderung in Berlin zur Verfügung stehen. Konnten Sie damit im Osten auch schon Erfolge erzielen? Bildet sich dort schon — außer Imbißbuden — so etwas wie ein Mittelstand?

Norbert Meisner: Das, was sich im Augenblick bildet, ist erst einmal Handwerk. Beim Tiefbau und Hochbau wird im Frühjahr der Aufschwung dieser Bereiche eine Verstärkung kleinerer Betriebe ergeben. Der Mittelstand, der das Unterfutter der westdeutschen Industrie ist, der spezialisierte Betrieb, der seine Abnehmer überall auf der Welt hat, zwischen 500 und 1.200 Mitarbeitern und zwei oder drei Konkurrenten auf der Welt, der fehlt natürlich. Das ist eine der Folgen, weil die Treuhand bei der Aufspaltung der Kombinate nicht weit genug gegangen ist. Die Entwicklung ist also schon sehr weit über die Würstchenbuden hinaus.

Weil Sie jedoch den »Kapitalismus als Projekt« angesprochen haben, folgendes, was man auch im Lehrbuch nachlesen kann: Der erste Einsatz auf dem Markt ist immer der, der den geringsten Kapitalbedarf erfordert. Und darum ist es eben der Pornoshop und die Dönerbude.

Wir sind jetzt aber schon in dem Bereich, wo das viele Geld —»Aufschwung Ost« — im Infrastrukturbereich wirkt. Das wird in den nächsten Jahren weiter anhalten. Die richtigen großen Infrastrukturprogramme haben außerdem noch gar nicht begonnen. Im Augenblick kriegen erst mal die Autobahnen Leitplanken, was ja auch ganz schön ist, und was ein bißchen, sag, ich mal, Stahlprodukte an den Mann bringt, die sonst nicht so gefragt sind. Aber eine Autobahn und eine ICE-Strecke wird noch nicht gebaut. Doch in den nächsten Jahren wird noch eine ganze Menge an Bedarf hinzukommen. Das zusammen genommen ist ein richtiger Start.

Wie kann Berlin in diesen Prozeß eingreifen?

Erst einmal durch das Flächenangebot: Wir möchten einen industriellen Bestand in Berlin behalten, dazu brauchen wir auch Flächen. Bei der Erstellung des Flächennutzungsplans für Ost-Berlin kämpfe ich jetzt darum, daß diese Flächen auch groß genug sind, weil die Erfahrung die ist, daß kleine Gewerbeflächen von der Umgebung als störend empfunden und langsam aus der Stadt herausgedrängt werden. Aus diesem Grund wollen wir einige große Areale sichern — in Lichtenberg, Marzahn, Höhenschönhausen, Köpenick.

Das zweite, womit man helfen kann, ist die Behördenbetreuung — was zum Beispiel alle Anträge betrifft. Auf diesem Gebiet hat die Berliner Verwaltung zu Recht einen sehr schlechten Ruf. Die Berlin-Subventionen waren das einzige Instrument, das zur Verfügung stand, das uns jedoch nach der Wiedervereinigung weggenommen worden ist. Verwaltung heißt aber auch: Bauanträge und Umweltgenehmigungen, heißt Doppelarbeit zwischen Bezirk und Hauptverwaltung — all diese Sachen, die dort parallel nebeneinander herlaufen und die ein Unternehmer, der eine Produktion errichten will, schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen kann. Ich habe gerade gehört, daß ein Unternehmer einen Antrag bei einem westlichen Bezirksamt gestellt hat, und nach einem Dreivierteljahr hat sich der Unternehmer dort danach höflich erkundigt, woraufhin ihm barsch beschieden wurde, daß sein Antrag noch gar nicht in die Hand genommen wurde. Nun war das auch noch ein Japaner. Und gleichzeitig gehe ich mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Hirche auf Japan-Reise, versuche japanische Unternehmer von dort herzuholen. Eine solche Meldung, die sich in Japan in der dortigen Handelskammer herumspricht, macht alle solche Werbebemühungen zunichte. Deshalb müssen wir die verwaltungsmäßigen Berührungspunkte zwischen Staat und Unternehmer effektivieren. Und da besteht ein großer Nachholbedarf.

In West-Berlin gab es ja keine Flächen. Wer hier investieren wollte, weil er die Segnungen des Berlin-Förderungsgesetzes haben wollte, der wurde erst mal als Bittsteller behandelt. Aber jetzt sagt sich so jemand: Ob ich nun in Reinickendorf oder in Falkensee investiere, ist mir schnurz. Uns ist es nicht schnurz! Auch nicht bei einem gemeinsamen Land Berlin- Brandenburg: die Gemeinde muß immer sehen, daß sie auf ihre Steuern kommt. Der Vorteil des gemeinsamen Landes liegt nur darin, daß sich die Entwicklung dann eben nicht wildwüchsig vollzieht um Berlin herum, sondern daß sie gemeinsam strukturiert wird.

Werden denn die Forschungseinrichtungen von Humboldt-, Freier und Technischer Universität die Industrieentwicklung ein bißchen beeinflussen, mitsteuern?

Als ich gerade mal zwei Tage Wirtschaftssenator war, hat SEL angekündigt, daß sie fünf Produktionen in Berlin stillegen wolle. Das waren einfache Produktionen, für die sie überall in der Welt, und — wie sie mir sogar vorgerechnet hatten— billiger die Fertigung plazieren können. Was sie hier gelassen haben, das ist der Bereich, wo Ingenieure und Software-Leute arbeiten, die in Berlin an den Hochschulen ausgebildet werden. Da profitiert ein Unternehmen also von der Ausbildung. Dieser Bereich wird auch hierbleiben und braucht eine Atmosphäre, wie es sie in Berlin gibt. Dann haben wir die »Gründerzentren« mit der ganzen Förderung für junge Unternehmer aus dem wissenschaftlichen Bereich, die mit einer Idee oder ein Entwicklung kommen, die dann erst zu einem marktfähigen Produkt in einer relativ mühevollen Arbeit hingeführt werden muß. Das BIG an der Voltastraße ist relativ erfolgreich, es ist ausgebucht. Und nun machen wir so etwas für Adlershof in einem größeren Umfang, auch sicher mit eigenen Schwerpunkten — die sich aus der Nähe zu den überzuleitenden Instituten an der Akademie der Wissenschaften ergeben, aber in Zusammenarbeit mit normalen Privatbetrieben beziehungsweise Investoren, die in einen solchen Bereich hineingehören. Da haben wir schon Anmeldungen. Die räumliche Nähe von solchen Einrichtungen und privaten Firmen soll ein Klima erzeugen, aus dem heraus mittelständische Industrien sich entwickeln können. Das ist überhaupt einer der wesentlichen Vorteile, die wir in Berlin haben und von dem West- Berlin bisher relativ wenig gehabt hat.

Dann sind Sie also auch ganz optimistisch, daß die massenhafte Übernahme von DDR- Betrieben durch BRD-Firmen hier nicht wieder nur verlängerte Werkbänke entstehen läßt...?

Für Berlin ja, sonst in Ostdeutschland würde ich das nicht so positiv sehen. Wenn SEL eine Produktion, die sich in Berlin nicht mehr rechnet, nach Arnstadt in Thüringen verlegt, dann weiß ich, daß das dort natürlich nur eine gewisse Zeit bleiben wird: So lange, wie die Löhne dort so sind, daß es sich noch besser rechnet als anderswo. Aber in Berlin meine ich schon, daß diese Nähe zur Forschungslandschaft, auch zur früheren DDR-Forschung, von Vorteil ist. Da sind auch qualifizierte Mitarbeiter der Kombinatsforschung zu übernehmen, wobei diese Chance von Monat zu Monat schlechter wird, weil die besten Leute sich nach was anderem umsehen. Wenn solche Leute von Treptow nach Kreuzberg gingen, hätte ich noch nicht mal was dagegen, aber wenn sie nach Baden-Württemberg gehen... Dieses Personal ist ein Akquisitions-Argument: Wo kriegt denn heutzutage ein Unternehmer schon solch hochqualifiziertes Personal irgendwo in der Welt? Was ihnen sonst angeboten wird, ist doch meistens Personal für flache Produktion.

Das hört sich alles schon wieder zu optimistisch an...

Ja, ist es auch. Ich mache immer so ein ernstes Gesicht, ich müßte mehr strahlen.

Ich sehe das alles weniger rosig, auch in Berlin. Wahrscheinlich weil ich meistens mit Betriebsräten oder sonstigen Leuten aus Belegschaften zu tun habe, wo man bald schon bei einer Zweidrittelreduzierung der Arbeitsplätze angekommen ist...

Das ist auch nicht positiv. Was mit den Betrieben im Ostteil im Augenblick passiert, ist natürlich ein radikaler Umbruch. Andererseits ist die Struktur, die es bisher gab, einmalig für eine Metropole gewesen: daß Sie hier 70 Prozent Industrieanteil hatten und 30 Prozent Dienstleistung. Normalerweise oder jedenfalls in den alten Bundesländern haben Sie 40 Prozent Industrie und 52 Prozent Dienstleistung. In den Vereinigten Staaten ist es noch extremer. Ein Großteil der Industrien Ost-Berlins wäre — wenn es die Teilung nicht gegeben hätte — im Laufe der letzten 30 Jahre auch verschwunden, weggezogen zumindest. Ein Teil davon ist sicherlich durch eine falsche Struktur gegeben, die wiederum durch von oben gelenkte falsche Befehle entstanden ist.

Da muß die Sorge den Menschen gelten, daß man sie hält, sie qualifiziert, ihnen Übergangsmöglichkeiten schafft, um den doch zu erwartenden Aufschwung mitzubekommen und selbst auch davon zu profitieren. Es wird sicher der kleinere Teil sein, der als Industrie in der Stadt bleibt und auch eine Zukunft hat.

Das Gespräch führte Helmut Höge