SOMNAMBOULEVARD — SCHLANGENBRUT UND WÖLFE Von Micky Remann

Das mußte ja kommen: Ich träume von einer Schlange!

Sie zischelt schwarz und live durchs Bett, in dem ich ebselbiges von ihr träume, und zwar so waschecht, daß ich mich auf der Stelle entschließe, den Überblick zu verlieren, ein Zustand, der hierorts „somnambule Panik“ genannt wird. Und schon taucht eine zweite, noch viel größere Schlange auf!

Fauchend, mit aufgerichtetem Hals, schlängelt sie sich zu uns in Bett, fletscht die gelben, gifttropfenden Fänge und... Hilfe! Doch nein, sie stürzt sich nicht auf mich, sondern umkringelt wie einen Äskulapstab die kleinere Schlange.

Daß die eine Todesgefahr durch eine größere ersetzt ist, trägt nicht zu meiner Beruhigung, wohl aber ein wenig zur Besinnung bei, worauf ich, was man in so einem Fall stets machen sollte, den Dämon in einen Dialog verwickele. Ich frage die Schlange (die große): „Was willst du hier?“ Sie schaut mich erst verwundert an, dann sagt sie: „Stell dir vor, ich hatte einen Traum. Ich ging gerade in den Waschkeller, um meine Strumpfhose zu holen, als ich dort einen Werwolf entdeckte. Er verspeiste eine Frau, die sich dort aufhielt und die ich gar nicht kannte, aber ich wußte: Eigentlich meint er mich. Es war gräßlich, bald lagen nur noch verstreute Knorpel herum, und Lachen von Fett und Talg. Vom Werwolf war dann nichts mehr zu sehen. Da sprach eine Stimme zu mir: ,So, und das mußt du jetzt wegmachen!‘ Ich ekelte mich tierisch, aber ich nahm eine Schaufel zur Hand und versuchte, die Reste auf dem Boden, Knorpel, Talg und Fett, zu beseitigen. Als ich wieder zur Wäscheleine blicke, dachte ich, irgend etwas stimmt hier nicht! Denn auch auf der Strumpfhose waren jetzt solche Schmierflecke zu sehen, aber die mußten neu sein, denn ich wußte ja, die Strumpfhose war frisch gewaschen. Das heißt, der Werwolf war noch in der Nähe, er hielt sich hier versteckt! In meinem Schrecken wollte ich dann meine Hände von diesem ganzen Schmodder abwaschen, wobei ich aber merkte, daß ich Gummihandschuhe anhatte, die sich kaum reinigen ließen, so fest klebte das Zeug. Dann dachte ich, ich wache auf, aber in Wirklickeit hatte ich nur meinen Körper gewechselt.

Kennst du das, daß du erwachst und willst deinen Traum deuten, aber dann merkst du, daß die Deutung bereits der nächste Traum ist?

Schon wieder war der Wolf da, diesmal gezähmt, aber immer noch riesengroß, und an der Leine eines betrunkenen Malers mit fleckenübersätem Kittel.

Der Maler stellte den Wolf bei mir ins Wohnzimmer und bat mich, auf ihn aufzupassen, während er ein paar Besorgungen auf dem Somnamboulevard machte.

Da begriff ich endlich, daß ich das alles träumte, und das wollte ich sofort meiner Schwester mitteilen, die ich schließlich bei dir im Bett fand.“ Sagt die große Schlange, die nun friedlich in meinem Bett schläft, denn sie und ihre Kollegin haben sich mittlerweile in zwei Werwölfe verwandelt.