Der Geist als Kalauer

■ Gespräch mit dem Filmemacher Heinz Emigholz über senen Film "Der Zynische Körper", Sprache, Zeit und Raum, Architektur und das Bildermachen

taz: Du hast großen Wert darauf gelegt, das Prädikat „Zynisch“ groß zu schreiben. Welchen Charakter willst du damit dem Film geben? Ursprünglich war „zynisch“ doch ein ausgesprochen negativ besetzter Begriff der Philosophiegeschichte...

Heinz Emigholz: Man kann „zynisch“ nicht auf eine philosophiegeschichtliche Bedeutung beschränken. Danach könnte man den Begriff nicht auf einen Körper beziehen, denn der kann nicht „zynisch“ sein, weil er sich nicht philosophisch äußert. — Aber vom Körper meine ich gerade, daß er es tut. Und zwar äußert sich der Körper durch seine „Tatsachen“, im Kontrast zu den Tatsachen der Worte, der Gedanken und der philosphischen Systeme. Es war die Grundidee in Der Zynische Körper, zwei Welten zu konfrontieren. Einmal die spielerische des Denkens oder der künstlerischen Arbeit, und zum anderen die begrenzte Lebenszeit eines Körpers. Gegenüber einem Denken, das sich den Tatsachen des Körpers nicht stellt, ist das natürlich „zynisch“.

Dem Philosophen Diogenes, dem ersten Zyniker sozusagen, sagt man ein etwas ungebrocheneres Verhältnis zu seinem Körper nach als sonst üblich. Er band den Geist immer an den Körper, dem er entstieg, zurück. Und das spielt doch eine große Rolle im Film, daß der Geist sich nicht verselbständigen soll?

Ja, der muß gestoppt werden in seiner megalomanischen Art. Die Körperzeit muß diesen Geist stoppen. Diese Spielereien und Experimente ohne Bezug auf den Körper sind öde.

Was aber sind „Körper“ in deinen Filmen? Sie sind doch wohl kaum etwas Natürliches oder Privates, von dem man vor allem Wissen einen Gebrach machen könnte? Artikuliert er sich philosophisch als „Fleischstück“, wie es im Film heißt?

Der tote Roy kommentiert Carls Kampf gegen Liza in den Bergen so: „Seine Unentschiedenheit brachte Monster zur Welt. Und er haßte sich dafür. Anstatt zu lernen, daß wir Fleischstücke füreinander sind — und sich mit der eigenen Überflüssigkeit zu trösten, wie damals, als noch nichts etwas bedeutete.“ Als Schwuler ist Roy mehr in der Welt der Objektivierungen zu Hause — in der Verlassenheit, dem Bild, ein Bild zu sein —, als in der romantischen Unfaßbarkeit. Er rät, das Grübeln der Schuld zu verlassen und die Bedeutungslosigkeit schätzen zu lernen.

Wie ist das Motto des Films „Ich will kein Gemüse werden“ zu verstehen?

Als Zitat des Hauptdarstellers, der seine Rolle weiterdenkt. Er rebelliert gegen sein Sterben auf der Intensivstation. Mir selber ist die Weigerung, Gemüse zu werden, eher fremd.

Es gibt nun einen Film und drei Titel, die keineswegs analog zu verstehen sind: „Der Zynische Körper“, „The Holy Bunch“, „La Sainte Famille“. Der Film scheint überhaupt Transponierungen zu verweigern?

Man kann den Film gleichzeitig von mehreren Seiten aus begreifen. Sein Sinn existiert innerhalb einer Logik, die verschiedene Titel zuläßt. Der Zynische Körper, das ist treudeutsche Philosophiekritik, The Holy Bunch die amerikanische Art, der biologischen Familie einen Tritt zu versetzen, und in La Sainte Famille spiegelt sich der französische Anspruch auf Religionsstifterei.

Gibt es in diesem Film eine Art nicht-biologischer Familie?

Ja, ganz banal auch als notwendiger Ersatz. Die Moderne hat die Familie als Überlebensformation aufgerieben. Die Familie, das ist jetzt eine gemeinsame Arbeit oder ein paar Freunde und versprengte Verwandte oder Wörter oder Bilder, vielleicht aus einer vergangenen Zeit. Aber die Gruppe in diesem Film ist nicht ihr „idealistischer“ Ersatz. Es ist klar, daß das körperliche Scheitern auch immer ein Scheitern des Geistes ist.

Den Ausfluß des Geistes, die Sprache, verwendest du erst in deinen letzten Filmen. Ich habe den Eindruck, es handelt sich um ein tiefes Mißtrauen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Sehen und Sagen.

„Letzten“ ist übertrieben, immerhin in allen Filmen seit 1977, mit der Ausnahme von The Basis of Make- Up. Aber die Sprache kommt herein als stammelndes Wesen, dem in kommunikativer Hinsicht nicht viel zugetraut wird. Sie hat sich wie ein Parasit in den Menschen eingenistet. Sie verteidigt sofort ihre eigene Sphäre — als Killer, der zitiert. Würde ich etwas aus Liebe schützen wollen, würde ich sie zum Schweigen bringen. „Sehen“ und „Sagen“ kann ich nicht in Beziehung setzen, weil mich Schlagfertigkeit nicht interessiert. Bilder entstehen lange nach Sehen und Sagen, sie müssen die Existenz der Sprache allerdings ertragen. Stoisch vegetieren diese Bilder neben dem endlosen Gerede und zeigen sich gegenüber Interpretationen kalt. Sie sind das dicke Fell einer Verletzlichkeit, die sich auf einem vielleicht nur einmal begehbaren Weg in ein Archiv geschmuggelt hat. Sie können verwandte oder in der Zeit sehr ferne Augen noch dann zu Tränen rühren, wenn es für Worte schon zu spät ist.

Kann man sagen, du behandelst in deinen Filmen Sprache selbst wie einen Körper, als Satzkörper, Körpersätze?

Auf alle Fälle führt Sprache dort ein Eigenleben. Außerhalb des Körpers ist sie ein Fremdkörper. Sie kann verfallen und verrotten, aber auch leben. Sie lebt in den Körpern, aber sie geht auch darüber hinaus. Schlecht ist, wenn die Sprache so behandelt wird, als sei sie der natürliche Ausdruck des Körpers: Das bin „ich“, „ich“ will das möglichst authentisch sagen und so weiter. In der Tat hat die Sprache alles schon einmal „viel besser“ gesagt. Man muß sich also auf den Körper der Sprache selbst einlassen — und das bezeichnet die Distanz in meinen Filmen. Immer wird diese Identität zwischen Sprache und Sprecher vorausgesetzt; so heißt es von den Schauspielern in meinen Filmen, sie könnten nicht richtig sprechen, nur weil sie die Sprache von außen spiegeln. Schon bevor ich jemals einen Film gemacht hatte, war ich bereits der Sprache gegenüber entfremdet. Ich konnte mich nicht in ihr ausdrücken. Das liegt daran, daß man sich als Kind von der Sprache ausgeschlos über seinen Film „Der Zynische Körper“, Sprache, Bildermachen

Von Lars Henrik Gass

sen fühlt, in der man aufwächst, und anfängt zu denken. Daß ich Gefühle hatte, die ich in ihr nicht ausdrücken konnte, führte dazu, sie von außen zu betrachten.

Gefühle tauchen in deinen Filmen anders auf als sonst im Kino.

Erst einmal jenseits von „Gefühlen“, weil ich denke, man hat oder hatte seine Gefühle und muß sie nicht unbedingt durch Filme repräsentiert finden. Man sieht und hört vielmehr etwas über Gefühle. Es passiert keine Verlagerung des Gefühls in den Filmen, sondern ein Denken über Gefühle, ohne dies zurücknehmen zu wollen. Wenn man das nicht wahrnimmt, kommt natürlich der Vorwurf, das sei „kalt“ und „ohne Leben“. Leben kann aber jeder selbst; ich bin doch kein Oberlehrer. Natürlich können die Menschen in meinen Filmen nur bestimmte Dinge sagen, wenn sie einmal bestimmte Gefühle hatten. Wir unterhalten uns über bestimmte Gefühle. Das ist eine Performance über einen Text, der irgendwann einmal bei einem Gefühl seinen Ausgang genommen hatte. Es geht um Leidenschaft und um die Geschichte des einzelnen Körpers, darum, wie verschieden die Körper zur Zeit stehen.

Der „Kalauer“ scheint die bevorzugte Artikulationsweise in deinen Filmen darzustellen. Handelt es sich dabei um Paradoxierungen von Sprechen und Wissen, um ein Untergraben von Logik und Moral womöglich?

Der Kalauer ist der unmittelbare Ausdruck der „zweiten Natur“, fast möchte man meinen, die Gesellschaft wurde zu einem. Seine Bewegung ist die des Wunschtraumes „Wenn wir uns nur so sehen könnten, wie die anderen uns sehen“, oder andersrum gesagt, der Knockout der Moderne durch Angrinsen. Ihr Anspruch und die in ihrem Gefolge angemahnte Verzückung wird von ihm entblättert und entblödet. Der Kalauer ist als Ausrutscher noch weitgreifender als der „Freudsche Versprecher“, weil er zum Wenigen gehört, was einen noch gegen Akademismus und Beamtentum retten kann. Ein letzter Trost.

Man hat den Eindruck, daß in deinen Filmen auch ein Umbau stattfindet. Immer montieren und kleben Leute etwas oder beschriften.

Das ist eine bestimmte Form von Arbeit und von Zeit — einer Zeit, die es normalerweise im Film nicht geben darf. Dargestellt wird eine Zeit, die sich die Leute genommen haben, sozusagen atypische Zeiteinheiten. In gewissem Sinne ist das eine utopische Zeit, das Kleben, Zeichnen, Bilderentwickeln... — ein merkwürdig unbesetzter Zeitverlauf, den man herausgeschlagen und gewonnen hat.

Die Zeit ist verräumlicht und verdoppelt?

Ja, weil sie dem Zuschauen ermöglicht, auf einen Raum einzugehen, in dem jemand schon mit bestimmten Gedanken lebt. Und das ist etwas anderes als eine Aktion an diesem Ort. Die Darsteller sind bereits in einer Distanz zur Sprache. Der sogenannte Schriftsteller im Film zitiert Sätze im Film. Man wird sagen, der sieht ja gar nicht aus wie ein Schriftsteller im Film, und er spricht so, als habe er keine Gefühle in bezug auf das, was er schreibt. Darin steckt die Wahrheit, daß Künstler kalt sind, eben weil sie Distanz wahren müssen. Es ist eine Riesenillusion und Ideologie, Kunst habe exklusiv etwas mit Fühlen zu tun. Die Leute im Fim sind relativ erkaltet; sie spielen gewisse Konstellationen durch.

Geht der Film etwa „zynisch“ mit seinem Material um?

Nicht im herkömmlichen Sinn. Der Körper behauptet für sich die ganz andere Geschichte. Das ist die „Tragik“ in diesem Film. Der Film aber als Gesamtzusammenhang geht keineswegs zynisch mit dem Zuschauer um. Der Körper sagt im Film als Zyniker „stop“ zu diesem Zeitumgang, zu diesem Wahngebilde, mit dem wir gerne weiterspielen würden.

Aber die Personen im Film verkehren doch sehr spielerisch mit ihrer Wirklichkeit?

Sicherlich am Anfang des Films, später aber löst sich das ab; dann wird etwas anderes bedeutsam, und es ist nicht mehr so interessant, was man sich gedacht hatte. Nachher, in diesem Vergleich zwischen den beiden Architekturen — dem Kölner Dom und Gaudis Kathedrale in Barcelona —, die verschiedene Strategien in bezug auf den Körper besitzen, hat sich das Thema Körper/Architektur durchgesetzt: einmal der wirkliche Verfall, zum anderen Übersysteme, die sich dem Körper entgegensetzen. Das Organische wird in einem wahnhaften System als „zynisch“ empfinden. Nun kann man natürlich sagen, die Natur sei amoralisch, und es wird sie kaum kümmern, was die Menschen von ihr denken, die immer ein Teil von ihr bleiben, obwohl sie sie zu vernichten suchen.

„Der Zynische Körper“ ist auch ein Stadtfilm, ein Film über Körper und Beziehungen.

Jeder Film ist ein architektonisches Gebäude, in dem ich mit den Augen spazierengehe, noch bevor mir jemand sagt, was und wie ich etwas verstehen muß. Wir erleben nur die angemessene und entnervende Architektur eines beschränkten Zimmers, zusammengesetzt aus vielleicht fünfhundert Einstellungen.

Das beste, was dabei herauskommen kann, ist die Repräsentation eines so oder so gearteten Geisteszustandes. Vielleicht den eines Städters, aber nie den von der Stadt. Die Idee an sich wird nie ein vernünftiges Bild finden.

Obschon du Bilder in der Fläche konzipierst, bezeichnet im Film das Abnehmen einer Totenmaske den Einbruch einer Dreidimensionalität und eine Wendung im Körperbewußtsein, die sich ankündigt.

Bilder sind Flächen. In der Fotografie repräsentieren diese Flächen einen dreidimensionalen Raum, im Film eine vierdimensionale Gegebenheit. Die fotografische Komposition ist sozusagen das Auffinden einer Fläche in einem dreidimensionalen Raum. Der Raum hat sich zu dieser Fläche verdichtet und wird von ihr wie von einer Linse wieder ausgestrahlt, projiziert.

Fred betrachtet im Film ja das Negativ der Maske, die vom Gesicht abgenommene Form. Das Licht aber, das von einer Seite auf den weißen Gips fällt und Schatten wirft, macht es auf der Fläche des Bildes zuerst nicht möglich, zu entscheiden, ob Fred die fertige Maske selbst oder deren Gießform in der Hand hält. Erst wenn er mit dem Finger die Form der Maske abfährt und in ihren Raum hineinsticht, entscheidet sich das Gehirn für die Lesart „negativer Raum“. Gleichzeitig bleibt das Ganze ein Vexierbild, die Maske läßt sich trotz des Fingers auf der Bildfläche positiv lesen. Die Dreidimensionalität wird also in dieser Einstellung zu einem Ereignis, weil sich der Leser aktiv für positiv oder negativ entscheiden muß. Die Fläche des Bildes verharrt mit dem Angebot beider Lesarten.

Sehen heißt also, Blick — oder Kamera — und Bild fallen auseinander?

Das Bild ist gedachtes Sehen, bewußt oder unbewußt. Der Blick komponiert das Bild, die Kamera setzt dabei den Rahmen. Denkt man sich diesen Rahmen weg oder nimmt ihn nicht wahr, kommt es zu der vom Markt angestrebten Symbiose zwischen Sehen und Bild, der eingebildeten oder durch Digitalisierung möglich gemachten Direktschaltung ins Gehirn. Der produktive Moment des Bildermachens ist aber die Zeit der Komposition und die der Zerlegung und des Lesens.