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Ist das Böse nur ein guter Witz?

„Addams Family“ — Täglicher Horror und ganz normaler Familien-Blues  ■ Von Karl Wegmann

Alexander Solschenizyn erkannte in seinem Archipel Gulag sehr richtig: „Die Grenze, die Gut und Böse trennt, verläuft mitten durch das Herz eines jeden menschlichen Wesens. Und wer will schon einen Teil seines eigenen Herzens zerstören.“ Natürlich will das niemand. Aber wie zum Teufel soll man seine persönliche Bösartigkeit in den Griff bekommen, ohne gleich Skinhead zu werden oder mit Bomben um sich zu schmeißen, wenn es einen juckt? Die Antwort liegt anscheinend in der Antike. Die alten Griechen hatten ein sehr wirksames Mittel, um den privaten Dämon zu besänftigen: Sie schauten sich blutige Dramen an. Das Spiel auf der Bühne diente ihnen als Aggressionsabfuhr, als Katharsis.

Diese Selbstreinigung funktioniert auch heute noch. Der erfolgreichste Grusel-Autor der Neuzeit, Stephen King, beschreibt in seinem Buch Danse Macabre, wie das mit den Dramen heute klappt und wie er sich immer wieder selbst heilt: „Der Horror-Film muß eine schmutzige Aufgabe erledigen. Er spricht absichtlich alles in uns an, was schlecht ist. Er ist entfesselte Morbidität, die Freisetzung unserer grundlegendsten Instinkte, die Umsetzung unserer übelsten Phantasien..., und alles spielt sich angemessen im Dunkeln ab. Aus diesem Grund scheuen gute Liberale häufig vor dem Horror- Film zurück. Ich selbst sehe gerne die aggressivsten von allen — Dawn of the Dead zum Beispiel — als diejenigen an, die eine Falltür im zivilisierten Großhirn öffnen und den hungrigen Alligatoren, die in dem unterirdischen Fluß darunter herumschwimmen, einen Korb rohes Fleisch zuwerfen. Weshalb die Mühe? Weil das verhindert, daß sie herauskommen, Mann. Es hält sie da unten und mich da oben. ,All you need is love‘, haben Lennon und McCartney gesagt, und dem stimme ich zu. Solange man die Alligatoren füttert.“

Nun ist es aber nicht jedermanns Sache, sich andauernd bluttriefende Schlachtplatten à la George A. Romero zu Gemüte zu führen. Und den lieben Kleinen sollte man schon gar nicht meuchelnde Zombies und gierige Werwölfe servieren, obwohl die alten Kindergeschichten — ich denke da zum Beispiel an diese fiese Hexe, die ein niedliches Geschwisterpärchen mästet, um es anschließend zu grillen — auch nicht von Pappe sind. Die Dinge, die Menschen Angst machen, lassen sich auf eine Handvoll reduzieren. Ein Horror-Film will weh tun. Er muß daher sehr direkt sein. Doch diese große Einschränkung ist gleichzeitig auch eine große Herausforderung. Wirklich gute Erzähler packen immer eine Portion Humor in ihre dunklen Geschichten, die das Grauen zum richtigen Zeitpunkt bricht und dem Zuschauer Zeit zu einem befreienden Lachen läßt. Unvergeßlich die Szene in John Landis' An American Werwolf in London, in der eine halbverweste Leiche mit dem Helden des Film in einem Porno-Kino am Piccadilly Circus über den Tod philosophiert.

Bedeutend schwieriger ist es, eine reine Horror-Komödie zu drehen. Die Gefahr, einfach nur herumzualbern und die Spannung völlig aus den Augen zu verlieren, ist immer gegeben. Außerdem macht man in der westlichen „zivilisierten“ Welt einfach keine Witze über Krankheiten, das Sterben oder über den Tod (das gilt natürlich — Monty Python sei dank — nicht für Großbritannien, die Briten haben den schönsten, schwärzesten und unchristlichsten Humor von allen). Um eine schwarze Komödie zum Laufen zu bringen, bedarf es also eines Briten (siehe Marty Feldman in Frankenstein Junior) oder einer genialen Idee.

Der Amerikaner Charles Samuel Addams (1912-1988) war so ein augenzwinkerndes Grusel-Genie. Schon sehr früh begann er mit Vorliebe Gnome, Monster, verrrückte Wissenschaftler, Hexen und immer wieder eine makabre Familie zu zeichnen. Dieser kollektiv als Addams Family berühmte Clan tauchte zum ersten Mal 1932 in einem kurzen Comic-Strip auf den Seiten des 'New Yorker‘ auf. Es folgten fast 1.300 weitere Kurz-Cartoons. Von 1943 bis 1946 diente Addams in der Armee. Nach dem Krieg wurden seine Werke schon im Metropolitan Museum of Art, im Fogg Art Museum, in der Rhode Island School of Design und im Museum der Stadt New York ausgestellt. In der phantastischen Welt von Charles Addams war nichts unmöglich. Groteskes wurde in absoluter Unschuld präsentiert, und nur die Normalität war wirklich absurd.

1964 war auch das Fernsehen soweit. Am 18.September strahlte der US-Sender ABC den Pilotfilm zu seiner neuen Serie The Addams Family aus. Die Serie lief zwar nur zwei Jahre (64 Folgen), wurde danach aber ständig wiederholt (bei uns läuft sie gerade wieder auf einem Kanal des Privatfernsehens). Daß Hollywood so lange zögerte, Morticia, Gomez, Fester, Butler Lurch und das eiskalte Händchen auf die Leinwand zu bringen, ist eigentlich völlig unverständlich, denn die Addams Family hatte längst einen Kultstatus erreicht und eine weltweite Fangemeinde.

Vor dem Startschuß für die 35-Millionen-Dollar-Produktion war man sich einig, daß man sich im Gegensatz zur Serie stärker an den Original-Cartoons orientieren wollte. Produzent Scott Rudin meinte: „In den Zeichnungen sind die Addams sehr subversive, manchmal bösartige, aber stets liebevolle Exzentriker. Unsere Absicht war es, sie auf der Leinwand im Sinne ihres geistigen Vaters zu kreieren: erhaben und romantisch, kultiviert und gräßlich! Deswegen integrierten wir möglichst viele von Charles Addams' Visionen und Bildern in den Film.“

Dabei half die moderne Tricktechnik. War „Das eiskalte Händchen“ in der Glotze immer in seinem Holzkasten eingesperrt, so wurde es im Lichtspiel befreit und flitzt ständig durch die Szenerie, stets bereit, irgendwie Hilfestellung zu leisten, und was während der Shakespeare- Schulaufführung abgeht (übrigens eine der besten Hamlet-Darbietungen, die es je gab, komprimiert auf zwei Minuten), ist Splatter-Horror reinsten Blutes und echt zum Schreien.

Regiedebütant Barry Sonnenfeld, der vorher als Kameramann unter anderem bei Blood Simple und für Rob Reiners Harry und Sally und Misery gearbeitet hat, inszenierte zwar manchmal etwas holperig, und die Dialoge sind auch nicht immer vom feinsten, aber die Darsteller sind erstklassig und reißen die ganze Sache immer wieder heraus. Anjelica Huston als Morticia Addams ist einfach umwerfend, wenn ihr Göttergatte Gomez (Raul Julia) sie suggestiv fragt: „Bist du unglücklich, Schatz?“, und sie stöhnt lustvoll: „Oh ja Schatz, schrecklich unglücklich.“ Christopher Lloyd als Fester Addams sieht aus und agiert wie der feuchte Traum eines Masochisten. Oma Addams (Judith Malina) serviert Palmlilienwurzeln an Grashüpfern als Hors d'oeuvre und nimmt zwischendurch einen kräftigen Schluck Zyankali. Die Kinder amüsieren sich derweil auf dem Dachboden: Der pummelige Pugsley (Jimmy Workman) ist gerade dabei, die Lieblingspuppe seiner Schwester Wednesday zu guillotinieren, als diese ihn fragt: „Hast du Lust auf ein neues Spiel?“ Pugsley bejaht natürlich und läßt sich bereitwillig auf einem elektrischen Stuhl festschnallen. Dann will er aber doch wissen, wie das neue Spiel heißt. Wednesday (Christina Ricci) starrt ihn mit ihren großen, unschuldigen Kinderaugen an und sagt sehr bestimmt: „Das Spiel heißt: Gibt es einen Gott?“

Laut Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität ist „aber auch noch der bösartigste Mensch ein Mensch und hat Anspruch auf unser Mitgefühl“. Bei den Addams trifft das nicht zu: Sie haben bei ihren Gemeinheiten Anspruch auf einen kräftigen Lacher. Und das ist gut und richtig so. Denn eventuell haben ja Solschenizyn, Stephen King und all die anderen nur die halbe Wahrheit herausgefunden, und Charles Addams hatte recht. Vielleicht ist das Böse in uns nur ein guter Witz und wir sollten uns nicht damit aufhalten, es ständig zu bekämpfen, sondern einfach totlachen.

Barry Sonnenfeld: Addams Family. Mit Anjelica Huston, Raul Julia, Christopher Lloyd, Christina Ricci u.a.; USA 1991, 100 Min.

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