Große Kraftprobe

■ Die Arbeitgeber wollen in der Stahlindustrie den Streik

Große Kraftprobe Die Arbeitgeber wollen in der Stahlindustrie den Streik

Nach dem Scheitern der letzten Verhandlungsrunde im Stahlbereich fragt man sich, was die Arbeitgeber eigentlich in Düsseldorf bereden wollten. Sie wußten doch ganz genau, daß die Gewerkschaft ihren Stahlarbeitern in dieser — von der Tarifsystematik her — letzten Einkommensrunde des Jahres 1991 nicht mit einem Abschluß kommen kann, der deutlich unter den Abschlüssen des letzten Jahres liegt. Sie wußten auch ganz genau, daß sie in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die letzte Chance hatten, den in Fahrt kommenden Zug in Richtung Arbeitskampf mit einem für die Gewerkschaft akzeptablen Angebot zu stoppen. Sie haben das nicht getan, sondern ein Angebot vorgelegt, das sich nicht durch deutlichen Einigungswillen, sondern durch taktische Winkelzüge auszeichnet.

Ganz egal ob man sich dem Berechnungsmodus der IG Metall oder dem der Arbeitgeber anschließt — dieses Angebot konnte die Gewerkschaft nicht annehmen. Denn selbst mit dem von den Arbeitgebern errechneten Gesamtvolumen von 5,7 Prozent läge die Lohn- und Gehaltserhöhung für die Stahlarbeiter mehr als ein Prozent niedriger als die für die Metallindustrie 91. Und dies auf Basis deutlich niedrigerer Ecklöhne: bei vergleichbaren Tätigkeiten gibt es zwischen Metallverarbeitung (14,42 DM) und Stahlindustrie (14,29 DM) eine Differenz von mehr als einer Mark. Die Stahlkonzerne sind inzwischen allesamt Mischkonzerne, die sowohl in der Stahlproduktion als auch in der Metallverarbeitung tätig sind. Wer also soll dem Facharbeiter bei Thyssen-Stahl erklären, daß er völlig zu Recht erheblich weniger verdient als sein Kollege im Maschinenbau desselben Konzerns?

Die Gewerkschaft wird sich dieser Zumutung verweigern. Sie kann kaum von ihrer Forderung nach Angleichung des Lohnniveaus runter und schon gar nicht vertreten, daß die Schere sich noch weiter öffnet. Die Stahlkonzerne haben in den letzten Jahren der Hochkonjunktur Traumprofite eingefahren. Selbst während der Stahlkrise heißumkämpfte, zur Stillegung bestimmte Werke wie in Rheinhausen wurden mit voller Auslastung weiterbetrieben, um die Stahlnachfrage zu decken — ganz so, wie es die kämpfenden Kumpel von Rheinhausen immer gefordert hatten. Geld für Lohnerhöhungen ist zweifellos da, auch wenn die Erwartungen für das Jahr 92 nicht so rosig sind wie die Ergebnisse der letzten Jahre. Warum also haben die Stahlarbeitgeber kein für die Gewerkschaft akzeptables Angebot vorgelegt? Wenn man Naivität nicht unterstellen kann, bleibt nur eine Antwort: sie wollen den Streik. Sie müssen sich aber klar darüber sein, daß ein Streik in der hitzigen, nervösen Tarifdebatte dieser Wochen zwangsläufig zur großen politischen Kraftprobe mit den Gewerkschaften eskalieren muß. Martin Kempe