RAF-Kronzeuge „Siggi“ im Zwielicht

Ungereimtheiten nach der Präsentation des „Kronzeugen“ im Mordfall Herrhausen/ SPD-Kritik an Kronzeugenregelung/ „Kronzeuge“ gegen RAF war in psychiatrischer Behandlung  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Flächendeckend verteilten Polizeibeamte in den vergangenen beiden Tagen Handzettel mit den Fahndungsfotos der mutmaßlichen RAF-Angehörigen Andrea Klump und Christoph Seidler und den Phantombildern von „Peter“ und „Stefan“ an die Bürgerinnen und Bürger der Kurstadt Bad Homburg im hessischen Hochtaunuskreis. Die Bevölkerung soll im Januar 1992 mit Hinweisen auf das von der Bundesanwaltschaft (BAW) benannte mutmaßliche Täterquartett die Fahndung des Sonderkommandos (SoKo) Herrhausen unterstützen — mehr als zwei Jahre nach dem Bombenattentat auf Herrhausen.

„Das hätten die schon früher haben können“, meinte gestern ein Informant der taz aus Bad Homburg, der anonym bleiben wollte. Die Abteilung Spurensicherung der Ortspolizei habe nämlich schon im Januar 1990 — nur zwei Monate nach dem Attentat — die „konspirative Wohnung“ (BAW) des 35jährigen Siegfried N., der zur Zeit von der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge für ein Verfahren gegen die Attentäter aufgebaut wird, auf den Kopf gestellt. Der „Hauptbelastungszeuge“ (BAW) hatte damals versucht, seine knapp 150 Meter Luftlinie vom Tatort entfernt liegende Wohnung in einem Wohnblock im Hessenring 116 in Brand zu setzen. Der Mann, der seine Wohnung der RAF für die Vorbereitung des Attentats auf Herrhausen zur Verfügung gestellt haben soll und der aufgrund seiner Drogenabhängigkeit von Nachbarn als „labil“ bezeichnet wurde, habe nach dem Tod seiner Mutter Selbstmord begehen wollen.

Auch die Kölner Zeitung 'Express‘ berichtete am Mittwoch über die Durchsuchungsaktion der Polizei im Rahmen des Wohnungsbrandes im Januar 1990. Dabei seien auch „Hinweise auf die Beteiligung von Siegfried N. an der Ermordung von Herrhausen“ gefunden worden. Das allerdings wurde gestern von einem Sprecher des Bundeskriminalamtes (BKA) dementiert. Dieser frühere Polizeikontakt, so BKA-Sprecher Fuchs, hätte nichts mit dem „Fall Herrhausen“ zu tun. Da aber Beamte des Landeskriminalamtes Hessen im Sommer 1991 — nachdem sich Siegfried N. den Ermittlungsbehörden „aus Gewissensnot“ (BAW) gestellt hatte — im Keller der „konspirativen Wohnung“ Komponenten von Sprengstoff sicherstellten, sind die Einlassungen von Fuchs interpretierbar: Entweder haben die Polizisten und die Feuerwehrleute im Januar 1990 bei der Suche nach den Brandursachen keinen Blick in den Keller der Wohnung von Siegfried N. geworfen. Oder sie haben die Sprengstoffkomponenten schon im Sommer 1990 zum BKA oder zum hessischen LKA verbracht.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Willfried Penner, äußerte gestern Zweifel an der gerichtlichen Verwertbarkeit der Aussagen von Siegfried N. Bei dem „Kronzeugen“ handele es sich um einen „besonders labilen, zumindest ehemals drogen- und alkoholabhängigen Mann“. Generell erteilte Penner der von Generalbundesanwalt von Stahl ins Gespräch gebrachten Verlängerung der Kronzeugenregelung eine klare Absage. In allen bisherigen RAF-Prozessen habe die Kronzeugenregelung nicht gegriffen. Stahl reagierte auf die Einlassungen Penners gereizt. Der Fall, so von Stahl, eigne sich nicht für „Ferndiagnosen“.

Nach Informationen der taz war Siegfried N. mehrfach Patient im Waldkrankenhaus Köppern, einer psychiatrischen Klinik, möglicherweise zur Behandlung seiner Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Der gebürtige Bad Homburger sei „keine große geistige Leuchte“ gewesen und habe im Alltagsleben große Probleme gehabt. Als Arbeitsloser war Siegfried N. „um das Jahr 1980 herum“ Mitglied bei den Grünen geworden. Doch nach der Tolerierungsvereinbarung zwischen SPD und Grünen in Hessen trat er wieder aus. Auch in der Anti-Startbahn-Bewegung sei er zeitweise aktiv gewesen: „Der Siggi war schon ein politischer Mensch. Der hatte Wut auf die Banken, auf die Wirtschaft und auf alle, die er für seine beschissene Lebenssituation verantwortlich machte.“ Doch im grünen Spektrum der noblen Kurstadt am Taunusrand kann man sich nicht erklären, wie „Siggi“ in Kontakt mit dem „harten Kern der RAF“ geraten sein könnte.

Die „arme Haut“ Siegfried N. arbeitete Ende der 80er Jahre durch die Vermittlung einer Zeitarbeitsfirma bei der Commerzbank in Frankfurt. Da sei er dann mit „schicken Klamotten und einem Aktenköfferchen rumgelaufen“. Falls „Siggi“ Beihilfe zum Attentat auf Herrhausen geleistet haben sollte, dann müsse er die Täter in Frankfurt kennengelernt haben, meinte ein Homburger Grüner, der den „Kronzeugen“ seit seiner Kindheit kennt. Der „Siggi“, der habe einem „nie in die Augen gucken können“ — „als Kind nicht, und auch nicht als Erwachsener“.