Der Kampf mit der SpekuLandesregierung

■ Der Bezirk Mitte, das zukünftige Regierungsviertel, kämpft mühsam um ein Stückchen Selbstbestimmung/ In den Baubereich regieren ständig die Bundesregierung, der Senat, die Treuhand und die Großinvestoren und Spekulanten hinein

Mitte. »Daß die Stadtmitte weiterhin den Menschen gehört«, wünschte sich die Bündnis-90-nahe Baustadträtin Dorothee Dubrau auf der letzten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte. Ein möglicherweise ziemlich frommer Wunsch, auch wenn sich die rührige und kompetente Stadträtin alle Mühe gibt, in ihren Entscheidungen diesem Motto gerecht zu werden. Aber die Entscheidungen, die sind es ja gerade: Wohl nirgendwo sonst im Bundesgebiet pfuscht den kommunalen Vertretern ein Konsortium von Bonner Regierungsbeamten, Senatsstellen, Treuhandverwaltern, Großinvestoren und Spekulanten derart ins Handwerk. Nicht daß alle dieselben Interessen vertreten würden, auch das ist es ja gerade: Jeder will mehr oder weniger rücksichtslos die seinen durchdrücken.

Das fängt schon bei der Bezirksfläche an. »Der Bund stellt sich vor, 40 Prozent von Mitte wären sein«, kommentierte Frau Dubrau in der BVV einen Diavortrag über die Bauprojekte in Mitte, »aber der Senat sagt, es seien 30 Prozent.« Mindestens 220 Hektar, mehr als ein Fünftel der Gesamtfläche von Mitte, sind somit der bezirklichen Verfügungsgewalt fast gänzlich entzogen. Das betrifft vor allem das Gebiet um die Otto-Grotewohl-/ Mohrenstraße und den Palast der Republik. Doch das wird nicht reichen, weil die Bonner schon für die erste Umzugsphase 170.000 Quadratmeter Bürofläche reklamieren und die bisher dafür ausgewiesenen Flächen in Mitte und Tiergarten nur 110.000 Quadratmeter aufnehmen können. Deswegen erhebt der Bund auch Anspruch auf die ehemals der SED-Baudirektion unterstehenden Flächen in der Friedrichstadt. Aber: »Einige Projekte lehnen wir ab«, so Dorothee Dubrau, »und bei vielen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«

Doch das Wort aus einem östlichen Bezirk zählt auch wegen der provisorischen Rechtsgrundlage für die Baugenehmigungen nicht besonders viel. Der DDR-Flächengeneralplan wurde aufgehoben, und für die bezirkliche Bereichsentwicklungsplanung (BEP) gibt es bislang nur Vorarbeiten, einen vom Senat erstellten »Vor-BEP«. Vom Bezirksamt erstellte Bebauungspläne für einzelne Gebiete können vom Bausenator abgelehnt werden, und wegen des fehlenden Flächennutzungsplanes schwebt über allen Vorhaben der gefürchtete Paragraph 34 des Baugesetzbuches, mit dessen Hilfe ohne die vorgeschriebene Bürgeranhörung gebaut werden darf.

Diese vordemokratische Rechtslage und die ungeklärten Eigentumsverhältnisse öffnen Spekulanten Tor und Tür. Ein Beispiel von vielen: Die alte Feuerwache in der Köpenicker Straße, die der Bezirk als Fläche für eine Schulerweiterung nutzen wollte, wurde von der Treuhand als Teil eines Betriebs verkauft. Doch der neue Unternehmer nutzte sie als Spekulationsobjekt und verkaufte sie weiter. Manchmal mache »die Treuhand die Stadtplanung«, klagte die Baustadträtin, und »das Geld fließt zu Herrn Waigel und kommt bei den Leuten, die die Werte geschaffen haben, nicht an.«

Auch an anderen ehemals »volkseigenen« Flächen tun sich längst Großinvestoren gütlich. Vor allem rund um die »Goldmeile« Friedrichstraße, an der der Quadratmeter Boden bereits bis zu 20.000 Mark kostet und damit fast nur noch für internationale Konzerne erschwinglich ist. Zwei Beispiele: Auf dem Gebiet, wo die Ruinen der Friedrichstadt-Passagen stehen, wollen die französischen »Galeries Lafayette«, Bouyges Immobilien aus Paris und Tishman & Speyer aus New York drei Blöcke mit Edel-Läden und Nobel-Büros hochziehen lassen. Das gigantische Investitionsvolumen: 1,4 Milliarden Mark. Und an der Friedrichstraße Ecke Oranienburger zittert das — von der Baustadträtin und Kulturstadtrat Uwe Dähn tätig unterstützte— Kulturhaus »Tacheles«, ob es der schwedische Konzern Skanska neben einem geplanten Passagekomplex mit Büros und Hotel so leben läßt, wie es ist.

Wenn alle Bauvorhaben verwirklicht werden, dann werden bis zu 80.000 Bauarbeiter in der gesamten Innenstadt werkeln — genauso viele, wie es Einwohner in Mitte gibt. Die jedoch werden in ihrer Mehrheit weder Geld für die entstehenden Luxusboutiquen haben, noch Geld für Häusersanierungen kriegen. Eine soziale Polarisierung scheint unvermeidbar.

Da ist zum Beispiel das Scheunenviertel. Zwar wurden die Abrißplanungen der SED gestoppt, das ehemals jüdische Viertel unter Denkmalschutz gestellt und eine »Betroffenenvertretung Spandauer Vorstadt« ins Leben gerufen. Doch ansonsten, klagt Frau Dubrau, gehe die Sanierung der historisch wertvollen Häuser und Straßenzüge wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse kaum einen Schritt voran. Sie kann nur hoffen, daß dieses »Sanierungsuntersuchungsgebiet« irgendwann als Sanierungsgebiet mit Mietpreisbegrenzung erklärt wird, denn sonst sieht sie schwarz für die nicht eben betuchten Mieter: Nach einer Umfrage des Bezirksamts Mitte im Herbst letzten Jahres hat die Hälfte von ihnen nicht mehr als 900 Mark im Monat zur Verfügung.

Kämpft Dorothee Dubrau, kämpfen die mehrheitlich vom Bündnis 90 gestellten oder parteilosen Stadträte also einen Kampf gegen Windmühlenflügel? Es sieht ein bißchen danach aus. Aber wenn bei den kommenden Kommunalwahlen die rechten Parteien zum Zuge kämen, würden den Bewohnern von Mitte wohl ihre letzten Interessenvertreter genommen. Ute Scheub