Die Müll-Pyramide

Mannheim (taz) — In einer trostlosen Ecke auf der Friesenheimer Insel, dort wo Mannheim am meisten Atmosphäre ausstrahlt, stehen die uralten Gemäuer der Firma „Kampffmeyer Mühlen“. Von hier kommt das weiße Mehl („Aurora mit dem Sonnenstern“) in die Regale. Hier steht aber auch eine gewaltige Pyramide aus Schwemmholz, Industriemüll und Treibgut von Rhein und Neckar, die der nigerianische Künstler Dr. Mo Edoga dort errichtet hat.

Adolf M. und Karl-Heinz M. sitzen in einem Büro gleich an der Pforte. Schmunzelnd bitten sie mich hinein. Sie wissen sofort, warum da wieder einer von der Zeitung nervt. Direkt gegenüber steht ein langsam verfallendes Gebäude, daneben erhebt sich die bis zu 20m hohe Pyramide. Das ist das Atelier von Dr. Mo Edoga, der schon einige Jahre in der Stadt lebt. Als Rhein und Neckar 1988 mal wieder besonders übel aus ihrem Bett gesprungen waren und allerhand brauchbare Utensilien hinterließen, sattelte Edoga sein Fahrrad und schaffte Stück für Stück in sein Atelier. Von einer Pfälzer Firma bekam er mehrere große Stahlträger. Um sie entstand die „Apotheose auf Vater Rhein und Mutter Neckar“. Aus aller Welt kamen sie, um die Pyramide zu bestaunen. Auch OB Widder und Kulturbürgermeister Mark huldigten dem Professor für Experimentelle Architektur an der GHS Kassel, der sich selbst als „Weltkünstler“ bezeichnet. Doch im Februar letzten Jahres war der Schmus vorbei. Das Amt für Baurecht und Umweltschutz verfügte, die Pyramide müsse zurückgebaut werden. Grund: Es bestehe die Gefahr eines Sturms, zudem sei die Straße sehr eng, und die weiter hinten wohnenden Kinder müßten täglich Edogas schwankendes Werk passieren. Einen Monat später verkündete das Karlsruher Verwaltungsgericht, die Pyramide sei eine Plastik und bedürfe deshalb keiner behördlichen Genehmigung, also könne man sie auch nicht abreißen. Doch die Stadtverwaltung gab nicht auf. Rechtsamtsleiter Metzger („es tut mir in der Seele weh“) formulierte eine Beschwerde, und so entschied der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof, der Rückbau sei rechtens.

So begab es sich eines Samstagmorgens im letzten August, daß ein Amtsleiter und ein leibhaftiger Branddirektor zusammen mit Edoga auf einer Feuerleiter standen und versuchten, das Gebilde zu stutzen. Es mißlang gründlich. Was blieb, war die Drohung mit der Motorsäge. Doch die braucht Edoga nun nicht mehr zu fürchten. Jan Hoet, Leiter der diesjährigen documenta, hat Edoga als einen von 170 Künstlern zur documenta 9 eingeladen, die vom 13.6. bis 20.9. in Kassel stattfindet. Keine Gefahr der Welt kann jetzt noch beschworen werden, das Werk zu zerstören. Die tapferen Pfortensitzer von „Aurora“ werden weiter um ihre Sicherheit bangen müssen. Ihre Hoffnung, Edoga werde „das Ding mit nach Kassel nehmen“, wird sich nicht erfüllen. Günter Rohrbacher-List