: Bruch im Namen der Einheit
■ Die indische Hindu-Partei BJP organisiert „Pilgerzug für nationale Einheit“/ Nicht mehr die religiöse, sondern die nationale Gefährdung im Vordergrund ihrer Propaganda/ Anschlag im Punjab
Goa (taz) — Sechs Wochen nach dem Aufbruch der „Ektra Yatra“, einem von radikalen Hinduisten organisierten „Pilgerzug für Nationale Einheit“, ist es gestern zu den ersten gewalttätigen Zwischenfällen gekommen. Im indischen Bundesstaat Punjab, wo separatistische Sikhs seit Jahren für die Unabhängigkeit des Staates kämpfen, wurden vier Teilnehmer des Zuges durch Schüsse aus einem Auto getötet, sechzehn weitere Personen wurden verletzt. Dieser Anschlag könnte, so befürchtet die indische Regierung, weitere Gewalttaten im Zusammenhang mit dem Marsch auslösen.
Bislang war der von der hinduistischen „Bharatiya Janata Partei“ (BJP) organisierte Zug überraschend friedlich verlaufen. An der Spitze einer kilometerlangen Autokolonne hatte BJP-Präsident Murli Manohar Joshi täglich und mit immer heiserer Stimme seine Botschaft verkündet: Die Einheit Indiens ist nur dann gewährleistet, wenn auch Kaschmir und der Punjab dazugehören. Die Ekta Yatra, die von der Südspitze Indiens bis zum Himalaya führt, soll ihren Höhepunkt daher am 26.Januar, dem Fest der Republik, finden. Auf dem Hauptplatz von Srinagar in Kaschmir soll dann die indische Trikolore aufgezogen werden. Doch dort weht bereits die Fahne des Landes, und Kritiker werfen dem BJP- Führer vor, er wolle mit seiner Lautsprecherkolonne im Namen der Einheit den Bruch zwischen Hindus und Muslimen herbeiführen.
Präsident Joshi war auf seiner ganzen Reise allerdings darauf bedacht, diese konfessionelle Konfliktlinie nur anzutönen und nicht zu überschreiten. War der Pilgerzug seines Vorgängers Lal Krishna Advani im Herbst 1990 — er hatte in die nordindische Stadt Ayodhya geführt, wo radikale Hindus genau auf dem Gelände einer uralten Moschee einen Tempel für den Gott Rama errichten wollten — noch von aschebeschmierten Bettelmönchen mit Shiva-Dreizacken und Muschelhörnern begleitet, fehlten in der Ekta Yatra die Götterbilder von Ram und Sita: statt dieser hingen Fotos von politischen Vorkämpfern der indischen Einheit am Likw Joshis. Und statt der religiösen Mantras ertönte „Vande Mataramn“ aus den Lautsprechern. Für viele aufgeklärte Inder war die Wahl dieses Liedes allerdings ominös genug: Das Kampflied der Unabhängigkeitsbewegung war 1947 wegen seiner Gleichsetzung von Indien mit „Hindu-stan“ nicht zur Nationalhymne gemacht worden.
Nicht nur das Banner der nationalen Einheit, sodern auch die Reaktion der Bevölkerung unterschied bislang den Marsch Joshis von dem seines Vorgängers Advani. Damals waren im Vorfeld des Pilgerzugs nach Ayodhya bei Gewalttätigkeiten zwischen Hindus und Moslems über 400 Menschen umgekommen. Mit dem langen Zug nach Kaschmir hat die BJP eine subtile Änderung ihres politischen Leitthemas von der religiösen auf die nationale Selbstgefährdung Indiens vorgenommen. Die Partei reagiert dabei auf die immer deutlichere Ermüdung der hinduistischen WählerInnen durch den ständigen Gebrauch religiöser Themen für politische Zwecke.
Zwar hatte die Partei mit ihrer Kritik am offiziellen Säkularismus starke Ressentiments in vielen Hindus artikuliert. Aber der politische Gebrauch der Religion durch die BJP weckte bald auch Aversionen bei vielen gläubigen Hindus. Sie äußerten sich etwa bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr, als es der Partei nicht mehr durchweg gelang, ihre aggressive Publizität in Stimmen umzusetzen. Sie mußte dabei auch erkennen, daß eine allein auf dem Hinduismus basierende Wahlplattform ihr keine Parlamentsmehrheit einbringen würde, da sie zu einseitig mit den höheren Klassen identifiziert wird. Und die bringen zusammen höchstens fünfzehn Prozent der Stimmen ein.
Der BJP-Präsident nutzt das Forum seiner täglich wechselnden Zuhörerschaften auch, um ihnen einzuhämmern, daß die heutige Entfremdung der kaschmirischen Muslime das Resultat von über vierzig Jahren Appeasement-Politik sei, wie sie Artikel 370 der indischen Verfassung am besten exemplifiziert. Dieser Paragraph gibt dem Gliedstaat (als einzigem Indiens) das Recht einer eigenen Verfassung, der Steuerhoheit und damit eines eigenen Budgets und eine Reihe von Bestimmungen, u.a., daß nur kaschmirische Bürger dort politische und staatliche Ämter bekleiden und Grundbesitz erwerben dürfen: „Der Premierminister unseres Landes dürfte in Kaschmir nicht einmal Gemeindebeamter werden“, ruft Joshi seinen Zuhörern immer wieder zu.
Das Kaschmir-Problem bietet der BJP nun eine goldene Brücke, auf der sie, ohne ihre anti-islamische Grundhaltung aufgeben zu müssen, auf eine breitere nationalistische Plattform hinüberwechseln kann. Die Regierung hat auf diese Herausforderung bisher nicht reagiert, da Joshis Yatra sie in ein Dilemma gestürzt hat: Sie kann schlecht eine Demonstration verbieten, welche die nationale Einheit auf ihre Fahne geschrieben hat — dies wäre lediglich Wasser auf die Mühlen der BJP.
Für den Fall aber, daß sie den Zug ins Kaschmirtal einziehen läßt, haben muslimische Untergrundgruppen bereits angekündigt, daß sie die Demonstranten mit Kugeln empfangen werden. Dies würde Märtyrer schaffen, welche die BJP zweifellos politisch ausschlachten würde. Gleichzeitig wurde der Kaschmir- Konflikt, der bisher erstaunlicherweise nicht religiös ausgefochten wurde, um diese virulente Komponente angereichert. Dies käme gerade dem islamistischen Untergrund gelegen, ausgerechnet in einem Moment, wo Armee und Verwaltung eine steigende Aversion der Bevölkerung gegen den Terror auch von seiten der islamistischen Gruppen auszumachen glauben. Verteidigungsminister Pawar wie auch Innenminister Chavan hatten daher für einen Stopp des Zuges in Jammu, südlich des Barihal-Passes auf dem Weg ins Kaschmirtal, plädiert. Premierminister Rao dagegen hatte dem Marsch auf seinen 15.000 Kilometern bisher keinen Stein in den Weg gelegt.
Bernard Imhasly/li
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