Ein moderner Islamist und begabter Taktiker

Der verhaftete Abdelkader Hachani vermittelte geschickt zwischen den rivalisierenden FIS-Flügeln  ■ Von O. Fahrni u. L. Mechentel

Algier (taz) — Am 30. Juni 1991 erfuhr das Leben des Abdelkader Hachani eine rabiate Beschleunigung: Greiftrupps des Innenministeriums verhafteten Hachanis politischen Ziehvater Mohamed Abassi Madani und mit ihm die siebenköpfige Führung der Islamischen Heilsfront (FIS): Ali Ben Hadsch, Ali Djeddi, Abderrazak Radjam, Kamal Guemmazi, Abdelkader Boukhakham, Abdallah Hammouche, Abdelkader Omar und, ein wenig später, Mohamed Said. Die Islamisten-Bewegung schien enthauptet. Der FIS-Generalstreik wurde im Blute erstickt. Abdelkader Hachani, ein 35jähriger Ingenieur der Petrochemie und FIS-Kader im Schatten Madanis, wurde der neue Kopf der Islamisten. Innerhalb weniger Wochen zwang Hachani — unter Billigung und stiller Anleitung Madanis — die zerstrittenen Gruppen und Fraktionen unter einen Hut, drängte die Radikalislamisten zurück, baute die erschütterten FIS-Strukturen neu auf und führte die Islamisten nach monatelangem Zank am 26.Dezember zur siegreichen Wahl. Das „politische Greenhorn“ (FIS-Mitgründer Ahmed Merani), der Redner ohne Charisma zeigte dabei viel politisches Gespür. Er spielte nicht nur mit den Rivalitäten seiner Gegner, sondern brachte mit seinem gemäßigten Diskurs die Militärs Ende September zur Aufhebung des Ausnahmezustandes, ohne dabei die Heißsporne in der FIS zu vergrämen.

Hachani mit seinen, sei es auf arabisch, sei es auf französisch, modern und griffig formulierten Aussagen gehört zu der unerschöpflich scheinenden Generation gut ausgebildeter junger Intellektueller, die in der FIS den nationalistischen und liberal-revolutionären „Djezaaristen“-Flügel bildet. Die „Djezaaristen“ sind nach der Revolution unter dem FNL-Klientelismus in der Wirtschaftskrise groß geworden. In der FIS haben sie sich mit den islamischen Reformisten der Ben Badis-Schule unter Madani zur gemäßigten Fraktion zusammengetan. Sie waren zur „Cohabitation“ mit dem jetzt geschaßten Präsidenten Chadli Bendjedid bereit. Hachanis Gegner — die „Oummisten“ und der militärische Flügel — glauben gar, die Generäle hätten den provisorischen FIS-Präsidenten während dessen einmonatiger Haft im Herbst umgedreht. Die „Oummisten“ (von Oumma, der Gemeinschaft aller islamischer Völker) lehnen eine Zusammenarbeit mit dem Regime ab. Sie sind die Radikalislamisten, die den Nationalismus überwinden wollen. Ihr Ziel ist nicht die islamische Republik Algerien, sondern die islamische Republik des Maghreb und später der ganzen arabischen Welt.

Sie könnten nach dem Abbruch der Wahlen und nach Hachanis Verhaftung vom Mittwoch abend leicht die Oberhand in der FIS gewinnen. Zwei Stunden bevor die Häscher den Interimspräsidenten der Islamisten griffen, gab er der US-TV-Station WTN ein Interview. „Mister Hachani, sind Sie ein Revolutionär?“ Hachani: „Wenn Revolutionär meint, seine Ideen bis zum Ende zu verfolgen, dann bin ich zweifellos ein Revolutionär. Selbst wenn man mich ins Gefängnis wirft, wird man die islamischen Aktivitäten nicht aufhalten können. Wir werden alle Mittel anwenden, um zu verhindern, daß das algerische Volk um seine Wahl betrogen wird. Es hat die FIS und damit den Islam gewählt.“ Wer ist der nächste Kopf der FIS?