Liebeskampf und Blaues Dichten

■ »Fetzen Paradies« — eine szenische Collage nach Else Lasker-Schüler im Zan Pollo Theater

Der Bühnenraum ist schwarz ausgekleidet, auf den Boden sind mit weißen Strichen zwanzig Quadrate gemalt — eine Mischung aus Spielfeld und Grabkammer. An der zum Publikum gewandten unteren Reihe des Feldes sind die Namen von vier Städten — Wuppertal, Berlin, Zürich und Jerusalem — aufgezeichnet, die linke, von vorn sich in der Unerkennbarkeit des Bühnenhintergrunds verlierende Linie wird von Jahreszahlen unterteilt, die von 1869 bis 1945 reichen. Vor dem Zuschauer im Zan Pollo Theater liegt das angedeutete Diagramm eines Lebens ausgebreitet, gebildet aus den Eckdaten der Biographie von Else Lasker-Schüler: 1896 als Kind jüdischer Eltern in Wuppertal geboren, Lyrikerin, Geliebte oder Ehefrau von Franz Marc, Gottfried Benn und Herwath Walden in Berlin, Emigration im Jahr 1933, gestorben 1945 in Jerusalem.

Während das herkömmliche, vermeintlicher Objektivität verpflichtete Diagramm jedoch eindeutige Aussagen durch eingezeichnete Kurven herzustellen sucht, bleibt dieses ein offenes Feld — einzig belegt durch einige spärliche Requisiten wie Kaffeehaus-Stühle, eine Mülltonne oder Fetzen beschriebenen Papiers. So ist es Frage und Antwort zugleich: es fragt nach den innerhalb eines Lebens möglichen Spielzügen und hat deren Grenzen doch schon vorher festgelegt. Jeder Zug scheint möglich — wenn er nur den vorgegebenen Regeln gehorcht.

Gurrend, glucksend, etwas affektiert, etwas hysterisch betritt Isabella Mamatis dieses Spielfeld des ausgelebten Lebens der Else Lasker-Schüler. Knapp anderthalb Stunden lang schlüpft sie in die Rolle der toten Dichterin und führt in einer Zitat-Collage vor, wie diese ihr Leben, ihre Lieben und ihr Leiden, poetisch, in Tagebuchnotizen und Dramen verarbeitet hat.

»Gieselher« und der »Blaue Reiter« (so nannte Lasker-Schüler Benn und den Maler Marc) sowie Walden, der Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Sturm, werden in jener seltsamen Stimmung, die schwankt zwischen Unterwerfungslust und dem Bedürfnis, den anderen hemmungslos zu beherrschen, immer wieder angerufen. Immer wieder äußert sich der Wunsch, mit dem anderen eins zu werden, in den Flammen gemeinsamen Begehrens zu verbrennen.

Solche Phantasien — so interpretiert es die Mamatis aus heutiger Sicht — korrespondierten auf merkwürdige Weise mit dem Holocaust. Lasker-Schüler litt an der Vernichtung »ihres« Volkes, die Inszenierung aber bricht ihren poetischen Wortfluß und macht nicht selten seinen hilflosen Eskapismus gegenüber der Realgeschichte klar. Daß Lasker-Schüler, die ihr Schreiben einmal als »Blaues Dichten« bezeichnete und von sich selbst behauptete, sie sei »kein Mensch, sondern Wetter«, diese Vergeblichkeit des Dichterns immer wieder zum Thema machte, macht die wahre Dramatik dieses Theaterabends aus.

Fetzen Paradies, als Solo von und mit Isabella Mamatis unter der Regie von Ilona Zarypow konzipiert, ist ursprünglich eine Produktion von Zan Pollo und dem Theater zum Westlichen Stadthirschen. Anläßlich der Jüdischen Lebenswelten wurde die jetzt zu sehende zweite Fassung erarbeitet — der Versuch, das Leben und Fühlen einer Frau durch ihre eigenen Texte begreifbar zu machen, ohne ihr restlos zu verfallen. Bernd Gammlin

Weitere Aufführungen finden am 25. bis 27.1. sowie am 28.1. bis 2.2. (außer donnerstags) im Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, statt.