Keine Kohle mit der Kohle

■ Winter ohne Kohlekarte: Händler im Ostteil bleiben auf »schwarzen Eiern« und Briketts sitzen

Kalt ist es geworden in Berlin. Ob in Frohnau, Charlottenburg, Friedrichshain oder Köpenick — in allen Berliner Bezirken ist das Bedürfnis nach behaglicher Wärme in den eigenen vier Wänden in diesen Tagen besonders groß. Der Preis jedoch, der dafür gezahlt werden muß, ist im Ostteil der Stadt — im zweiten Winter nach dem Mauerfall — ein anderer. Der Winter 1989/90 war für die Ostberliner noch ein »DDR-Winter«. Die Kohle bekam man — wie gewohnt — mit den vom Staat subventionierten Kohlekarten.

Die Zeiten, als ein Zentner Stapelkohle sage und schreibe 2,39 DDR- Mark kostete, sind längst vorbei. Bis Ende 1990 brauchte kein Ostberliner zu befürchten, im Kalten zu sitzen. Aber mit der Abschaffung der Kohlekarten 1991 hielt die Marktwirtschaft auch Einzug in den Ostberliner Kohlehandel. Die Geschäfte für die Händler in den östlichen Stadtbezirken laufen trotz der momentanen Kälte schlecht.

Obwohl 95 Prozent der Prenzelberger mit Kohle heizen, hatte die Kohlehandlung »Koziol« im Prenzlauer Berg diese Woche einen »normalen Verkauf«, so der 48jährige Geschäftsführer Günter Koziol. Vor Wintereinbruch haben sich die Kiezbewohner »mit dem Nötigsten« versorgt — Anfang Januar wurden sechs Tonnen pro Tag geliefert, diese Woche zwischen drei und vier Tonnen — jetzt werden nur kleine Mengen nachgeordert. Günter Koziol, der sein Geschäft seit 15 Jahren führt, kennt und liebt seinen Kiez und hat Verständnis für die finanziellen Probleme seiner langjährigen Kunden. Er weiß, daß die Leute oft nicht das nötige Geld haben, um sich ausreichend mit Kohle zu versorgen. »Ehe ich gar nichts verkaufe, gebe ich die Kohle lieber zum Sommerpreis ab«, so der Geschäftsführer.

Für soziale Härtefälle gibt es jetzt Kostenübernahmescheine vom Sozialamt. »Oft versuchen die Inhaber solcher Scheine, Bargeld für den Kauf der Kohlen zu bekommen. Ob sie davon wirklich Kohle kaufen, ist eine andere Frage«, so Günter Koziol. Mit der Abrechnung der Scheine beim Sozialamt hat der Kohlehändler Probleme: »Die sind da noch sehr säumig. Im Westteil der Stadt klappt das sicherlich besser«.

In die westlichen Bezirke wird ebenfalls geliefert — wenn der Auftrag entsprechend groß ist. »Für zwei Zentner lohnt es nicht, bis nach Neukölln zu fahren«, so die beiden »Koziol«-Mitarbeiter, die mit rußverschmierten Gesichtern im Laden auf die nächste Tour warten. Aufgrund zurückgehender Aufträge mußte der Geschäftsführer schon zwei Mitarbeiter entlassen. Zu schaffen machen ihm auch die Billigangebote Westberliner Händler. Diese versuchen, mit preisgünstiger Haldenkohle, die schon zwei Jahre Lagerung hinter sich hat und von schlechter Qualität ist, Kunden im Ostteil der Stadt zu gewinnen. Einige von Koziols Stammkunden sind auf solche Angebote reingefallen und standen dann wieder in seinem kleinen Laden in der Dunckerstraße.

Auch die Kohlenhandlung Peter-L. Zimmermann in Lichtenberg hat Probleme, im Konkurrenzkampf mit westlichen Firmen mitzuhalten. Bei einem Einkaufspreis von 205 Mark (ohne Mehrwertsteuer und Anfahrt) für eine Tonne Halbstein — die sogenannte »Bäckerkohle« — und einem Verkaufspreis von 290 Mark (inclusive Mehrwertsteuer und Lieferung bis in den Keller) ist kaum Gewinn zu machen.

Auch wenn in diesen besonders kalten Tagen fast doppelt so viel geliefert wurde wie Anfang des Monats, fühlt man sich auch hier den »Blendangeboten« Westberliner Firmen ausgeliefert. In Briefkasten- Wurfsendungen und Annoncen werden angeblich günstige Tonnenpreise angeboten. Viele unerfahrene Ostberliner bedenken nicht die zusätzlichen Kosten, die durch Mehrwertsteuer und Anfahrt entstehen.

Besonders hart bekam die Kohlenhandlung Rudi Lehmann in Biesdorf den Konkurrenzkampf auf dem Gesamtberliner Kohlemarkt zu spüren. Im letzten Jahr wurde ihnen von der »Preussag AG« Kohle zur Belieferung Ostberliner Einrichtungen zugesagt. Damit sollte unter anderem das Erich-Weinert-Ensemble, ein Ledigenheim und eine ehemalige NVA-Werkstatt beliefert werden. Diese Aufträge wurden für Lehmann ein »Schuß in den Ofen«. Eine Westberliner Firma kaufte alle Kohlen auf und übernahm die Lieferungen. »Konkurrenzkampf ist für uns überhaupt nicht möglich«, so die Ehefrau des Geschäftsführers, Gisela Lehmann, 55 Jahre. Die alten Pritschenwagen kamen nicht mehr durch den TÜV, Kredite mußten für den Kauf neuer Fahrzeuge aufgenommen werden. Zu allem Unglück müssen sie jetzt auch noch ein neuen Kundenstamm aufbauen. Denn im letzten Jahr stellten sich Vertreter der Berliner Hafen- und Lagerhaus-Betriebe (BeHaLa), die Kohle lagern und an die Händler abgeben, persönlich bei Lehmanns vor und verlangten eine Liste der Gewerbetreibenden, die von ihnen beliefert wurden. Lehmanns gaben die Namen heraus — ohne an die Folgen zu denken. Gisela Lehmanns bittere Einsicht kommt zu spät: »Wenn wir gewußt hätten, daß wir dadurch unseren alten Kundenstamm verlieren, hätten wir das nie gemacht«. Bollwahn