Senator surft auf »Grüner Welle«

■ Haase will »den Stau« auflösen/ Ampelschaltungen in der Hofjägerallee, Beusselstraße und Hohenzollerndamm werden überprüft/ Kritiker glauben, daß Verkehr reduziert werden müßte

Berlin. Im dritten Stock der Verkehrsverwaltung arbeitet Konstantin Wardakas auf Hochtouren — der Verkehr soll auf Berlins Straßen wieder fließen. Zur Zeit läßt der Leiter des Referats »Technische Steuerung des Straßenverkehrs« auf Weisung von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) die Ampelschaltungen in der Hofjägerallee am Großen Stern, in der Beusselstraße (beide im Bezirk Tiergarten) und am Hohenzollerndamm (Wilmersdorf) überprüfen. Auch hier stauen sich die Autos Tag für Tag, und dieser Mißstand soll mit Hilfe der »Grünen Welle« — für den Verkehr wären die Ampeln über eine lange Strecke grün — beseitigt werden.

Gemeinsam mit seinen neun Verkehrsingenieuren tüftelt Wardakas an der neuen »freien Fahrt«. Auf ein Meter fünfzig breiten Papieren werden beispielsweise die 13 Ampelanlagen zwischen dem Birkbuschplatz in Steglitz und dem Zentrum in Zehlendorf eingezeichnet. Dann wird ausgerechnet, wann welche Ampel grün zeigen muß, damit ein Autofahrer bei Tempo 50 die über drei Kilometer lange Strecke zurücklegen kann, ohne ein einziges Mal durch »rot« gestoppt zu werden. Schon ist das »Zeitweg-Diagramm« so gut wie fertig.

Doch »Grüne Wellen« sind äußerst kompliziert zu verwirklichen. Kreuzender Verkehr soll schließlich nicht unnötig aufgehalten werden. Bevor die Verkehrsingenieure ein »Zeitweg-Diagramm« erstellen, wird dann der Verkehr in den »Stau«- Straßen auch mindestens einen Monat lang beobachtet. In der Regel werden für den untersuchten Straßenzug die Ampelschaltungen für verschiedene Tageszeiten optimal gestaltet. Morgens fließt der Verkehr beispielsweise in die Stadt und soll an möglichst wenig »Lichtzeichenanlagen« »hängen« bleiben, abends ist es umgekehrt. Je nach Verkehrsbelastung werden deshalb verschiedene Schaltprogramme entwickelt. Im Durchschnitt verfügt jede der 1.350 Ampeln im Westteil der Stadt — im Ostteil sind es 250 — über täglich acht verschiedene Programme. »Grüne Wellen« seien von äußerst hohem volkswirtschaftlichen Nutzen, sagt Wardakas. Denn wenn Autos und Lastwagen im Stau stecken blieben oder an Ampelanlagen lange halten müßten, würde Zeit verschwendet und unnötig Abgase produziert.

Der Referatsleiter bestreitet, daß mit »Grünen Wellen« die Kapazität des Verkehrsnetzes vergrößert wird und dadurch die Straßen noch voller werden. Wer beispielsweise aus dem Umland in die Stadt fahre, komme sowieso, ob sich der Verkehr staue oder nicht. Andersherum käme niemand aus Zossen, nur weil auf der Bundesallee wieder freie Fahrt möglich sei, glaubt Wardakas.

Karl-Heinz Ludewig vom Arbeitskreis Verkehr vermutet, daß hinter der Arbeit für »optimale« Ampelschaltungen das Ziel stecke, möglichst viel Autoverkehr in möglichst wenig Zeit zu bewältigen. Dies dürfe heutzutage aber nicht mehr das Ziel der Verkehrspolitik sein. Seine Vermutung, daß Grünphasen auch für höhere Geschwindigkeiten geschaltet sind, bestätigt sich mit einem Blick auf die »Zeitweg-Diagramme«. Autofahrer haben zwischen Steglitz und Zehlendorf zeitweise nur bei Tempo 66 freie Fahrt.

Wardakas entschuldigt solche Schaltungen. Sie hätten mit der beabsichtigten »Grünen Welle« bei Tempo 50 nichts zu tun, aus technischen Gründen seien Grünphasen bei höheren Geschwindigkeiten nicht zu verhindern.

Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, wirft dem Verkehrssenator vor, er glaube, mit technischen »Tricks« die Verkehrsprobleme bewältigen zu können. Ursache seien aber nicht »falsch« geschaltete Ampeln, sondern zu viele Autos. Wenn Grünphasen die Lösung wären, »hätte Los Angeles uns das schon vorgemacht«, glaubt Cramer.

Der Abgeordnete fordert »bedarfsgerechte Ampelschaltungen« für Busse und Straßenbahnen. In Zürich gebe es bereits Signalanlagen, die dem öffentlichen Nahverkehr freundlich gestimmt seien: 300 Meter, bevor eine Bahn oder ein Bus an einer Kreuzung ankomme, schalteten die Ampeln auf grün, sagt Cramer. Dirk Wildt