Was treiben Michail und Raissa?

Moskau (taz) — Am Freitag, dem 27.Dezember, zwei Tage nach seinem Rücktritt als erster und letzter Präsident der UdSSR, unterschrieb Michail Sergejewitsch Gorbatschow bereits einen Vertrag mit der größten japanischen Zeitung 'Yomipuri‘, derzufolge er als Autor zu einer wöchentlichen Kolumne des Blattes beitragen wird.

Die Nachricht soll alle 'Yomipuri‘- Konkurrenten in der japanischen Pressewelt in tiefe Depressionen gestürzt haben. Es war dies die letzte offizielle Handlung Gorbatschows in seinem Kabinett im Kreml. Boris Nikolajewitsch Jelzin, nunmehr der mächtigste Mann in der neuen „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“, verfügt schon seit dem letzten Sommer auch im Kreml über seine eigenen Gemächer und erhebt auf das geräumte Büro keinen Anspruch. Wir fragen uns, wer von den beiden mehr zu bedauern und wer mehr zu beneiden ist.

Die Antwort erscheint einfach: natürlich kann kaum jemand bedauernswerter sein, als ein Politiker, der für das zählebige Tohuwabohu in Rußland seinen Kopf hinhalten muß — und selten ein Mensch beneidenswerter als Michail Sergejewitsch, der sich dieser Aufgabe gerade noch auf eine relativ ehrenvolle Weise entledigen konnte und nun frei seinen Neigungen leben darf. Und wenn er auch, wie Hamlets Vater, sein „Reich und seine Krone“ verlor, so hat er doch im Gegensatz zu diesem seine „Königin“ behalten. Meine Freundin Katja hat oft als Fremdenführerin sowjetische Touristen, die in Exkursionsbussen die Aussichtsplattform auf den Sperlingsbergen anstrebten, auf das vierstöckige Wohnhaus aufmerksam gemacht, das dem UdSSR-Präsidenten dort als Dienstwohnung zustand: „Hier wohnt Michail Sergejewitsch.“ Die von Wohnungsnot geplagten Bürger konnten sich ein solches Gebäude nur als Mehrfamilienhaus vorstellen, und regelmäßig fragte einer von ihnen ungläubig: „Ganz allein?“ — „Ich glaube doch mit Raissa Maximowna“, konterte Katja dann schlagfertig. Gorbatschow-Tochter Irina mit Ehemann Anatolij — beide Ärzte — haben seit jeher ihren eigenen Haushalt.

Im selben Stadtteil, der von der Nomenklatura seiner abgasarmen Luft wegen geschätzt wird, am Lenin-Prospekt, liegt die neue Dreizimmer-Wohnung der Gorbatschows. Wie fast alle Moskauer haben sie jetzt das Recht, diese käuflich zu erwerben, und leisten können sie es sich durchaus. Im Gegensatz zu ihrem Mann, der alle Auslandseinnahmen aus seinen Büchern wohltätigen Zwecken stiftete, verfügt Raissa Maximowna über ein eigenes Konto in der Schweiz. Der bald 61jährige Michail Sergejewitsch wird eine Pension von viertausend Rubel im Monat erhalten, wahrscheinlich mit einem 20prozentigen Zuschlag für besonders lange Dienstzeit. Obwohl dies immer noch das Achtfache des Durchschnittsgehalts der Ex-Sowjetbürger darstellt, erscheint es angesichts der rapiden Rubelentwertung nicht allzu üppig. Doch darf man annehmen, daß er auch als Präsident seines neugegründeten „Gorbatschow-Fonds“ für sozialökonomische und politologische Forschungen ein Gehalt bezieht. Die Stelle im Gebäude des ehemaligen Institutes für Gesellschaftswissenschaften trat er am 14.Januar an und traf sich dort gleich mit dem amerikanischen Ex- Staatssekretär Henry Kissinger. Zu den sonstigen Projekten des arbeitswütigen Pensionärs gehört ein Buch über die Hintergründe des rapiden politischen Zerfalls der UdSSR im vergangenen Dezember.

Die Moskauer halten diese Lebensumstände des Ex-Präsidenten durchaus für menschenwürdig. Nur den weiblichen Teil der Stadtbevölkerung plagt eine Frage: Wo bringt Raissa nun ihre umfangreiche Garderobe unter? Und — hoffnungsvoll! —: Könnte sie nicht vielleicht ein Museum dafür eröffnen? Die Lösung ist wenig wahrscheinlich. Zwar besitzen die Gorbatschows — wie Raissa zumindest einmal bedauernd der Ehefrau Francois Mitterrands mitteilte — keine 200 Quadratmeter eigenen Grund und Bodens, aber sie dürfen weiterhin eine Regierungsdatscha vor der Stadt benutzen, wenn auch eine Nummer kleiner als bisher.

Auch in der Transportfrage kam die russische Regierung den Wünschen des frischgebackenen Pensionär-Ehepaares entgegen: Es erhält zwei Wolgas oder, als Alternative: einen Wolga und einen Zil. Differenzen mit Boris Jelzin gab es allerdings in der Frage der Bewacher und Dienstbotenzahl: Nur insgesamt 20 Mann, ein Zehntel dessen, was sich die Gorbatschows gewünscht hatten, wurde ihnen auch bewilligt. Der erbetene Status der gerichtlichen Immunität konnte Michail Sergejewitsch ebenfalls nicht gewährt werden, zumal die russischen Gesetze diesen ausschließlich für Abgeordnete vorsehen. „Wenn Sie etwas auf dem Gewissen haben, sollten Sie lieber gleich damit herausrücken!“ ermunterte ihn Boris Nikolajewitsch fröhlich im Verlaufe der entsprechenden Unterredung.

Daß da durchaus etwas sein könnte, deuteten kürzlich die Advokaten der inhaftierten August-Putschisten an. Sie erklärten, daß der Ex-Präsident ausnahmslos alle Finanzoperationen der verbotenen KPdSU überwachte, zu denen auch die ungesetzliche Verschiebung großer Goldressourcen ins Ausland gehörte. Außerdem seien zahlreiche Abgeordnete des Obersten Sowjet der UdSSR auf seine persönliche Initiative hin belauscht worden, wobei die Abhörprotokolle seine handschriftlichen Vermerke trügen. Inzwischen hat die „Tschernobyl- Union“ die Staatsanwaltschaft gebeten, zu prüfen, wieweit man Gorbatschow zu jenem Personenkreis zählen kann, der sich durch bewußtes Verschweigen der wahren Ausmaße der Atom-Katastrophe am qualvollen Tode und der Krankheit zahlreicher Menschen schuldig gemacht hat. Fast von selbst beantwortet sich damit auch die Frage, warum der Ex- Präsident nicht — wie ursprünglich angekündigt — zu Weihnachten seine Mutter in Stawropol besuchte und was er vom 26.Dezember bis zu seinem Auftauchen in der Öffentlichkeit am 14.Januar getrieben hat. Mitarbeiter gaben die Antwort, er habe sein persönliches Archiv „geordnet“. Wie erst kürzlich bekannt wurde, ist es mit dem „Kreml-Archiv“ undurchsichtig verwoben. Ins Ausland beabsichtigt Michail Sergejewitsch nach eigenen Aussagen in nächster Zeit nicht zu reisen, und die Unterstellung, er habe eine Datscha in Finnland gekauft, wies er geradezu beleidigt zurück. Und man muß bezweifeln, ob er gegenwärtig die Möglichkeit hätte, sich dort aufzuhalten, denn das russische Außenministerium hat strikte Anweisung erteilt, alle wichtigen Putsch-Zeugen im Lande zu halten. Ist Gorbatschow also doch nicht zu beneiden?

Auf gut Glück haben wir uns aus den zahlreichen Jahreshoroskopen für 1992 für den „Fisch“ Michail Sergejewitsch eines herausgefischt: „Ein Pechjahr. Vieles, was Sie in der Vergangenheit unternommen haben, erhält jetzt eine negative Resonanz. Sie werden sich nur schwer vor den Angreifern schützen können. Auch in der Ehe könnte es Unstimmigkeiten geben. Suchen Sie Unterstützung bei alten Bekannten! Ende des Sommers erhalten Sie Gelegenheit zu stürmischen gesellschaftlichen Aktivitäten.“ Barbara Kerneck