Das große Wiedersehensfest der Guerilla

Nach dem Alptraum von elf Jahren Krieg wird in den befreiten Gebieten El Salvadors der Frieden begrüßt/ San Jose las Flores feiert das zehnjährige Jubiläum von „Radio Farabundi Marti“ und die Rückkehr von Comandante Facundo Guardado  ■ Von Thomas Schmid

San Jose las Flores (taz) — Es ist ein Uhr mittags, und die Sonne steht fast senkrecht über San Jose las Flores. Rund um den kleinen Fußballplatz des Dörfchens in den Bergen von El Salvador, unweit der Grenze zu Honduras, warten an die zweitausend Menschen, vor allem Frauen und Kinder, aber auch zahlreiche Guerilleros des „Nationalen Heeres für die Demokratie“, wie ihre Uniform verkündet. Es sind Soldaten der „Befreiungsbewegung Farabundo Marti“ (FMLN), der Guerilla, die im kleinsten Land Mittelamerikas — gerade halb so groß wie die Schweiz — elf Jahre lang Krieg gegen die Regierung geführt hat. Die meisten wohl zwischen 16 und 25 Jahre alt, einige wenige deutlich älter, andere wiederum würde man in Deutschland abends wohl in keine Kneipe einlassen. Der Lauf ihrer umgehängten Kalaschnikow bewegt sich nur wenige Zentimeter über dem Boden. Aber was bedeutet schon das in Jahren gemessene Alter hier oben? Aus den Geschichten und Gesichtern dieser Halbwüchsigen zu schließen, ist manch einer von ihnen in Stunden der Angst um Monate und in Wochen der Flucht um Jahre gealtert.

Plötzlich macht sich Unruhe unter den Zuschauern breit. Ein schwarzes Schwein wird in letzter Minute noch vom Feld gejagt — und dann setzt mit höllischem Lärm der große weiße Vogel majestätisch auf dem mit einem farbigen T gekennzeichneten Landeplatz auf. Die riesigen Rotoren provozieren einen Windsturm über dem Fußballfeld, und aus dem Staubnebel tritt nun deutlich ein Mann hervor: Comandante Facundo Guardado. Der etwa vierzigjährige Guerillaführer, Nummer zwei der FPL, einer der fünf in der FMLN zusammengeschlossenen Guerillaorganisationen, war anläßlich des Friedensabkommens in Mexiko und ist nun von der UNO per Hubschrauber nach San Jose las Flores, in sein Kampfgebiet in der Provinz Chalatenango eingeflogen worden. Noch ist die FMLN illegal, die Anreise ihrer Führer entsprechend umständlich.

Der Reporter hat es einfacher. Er fliegt nach San Salvador, setzt sich dort in einen Bus und fährt in die Berge zur Guerilla. Seit dem 16. Januar, dem Tag, an dem die Regierung und die Aufständischen in Mexiko ein umfassendes Friedensabkommen unterzeichneten, gibt es keine Kontrollen und Militärsperren mehr. Zwar stehen an strategisch wichtigen Brücken immer noch militärische Posten. Doch fläzen sich die Soldaten nun betont gelangweilt auf den Sandsäcken, die als Schild und Schußfang aufgeschichtet sind. Keine Nachfrage nach Personalausweis, Paß, Sondergenehmigung. Nur ein verschmitztes Grinsen. Der Krieg ist vorbei.

Auf der Kirche von San Jose las Flores weht die weiße Fahne. Die Fassade ist mit roten Spruchbändern geschmückt, die vom zehnjährigen Geburtstag von Radio Farabundo Marti künden. Auf dem Kirchplatz steht ein Denkmal zu Ehren der gefallenen Kämpfer von Radio Farabundo Marti — vor wenigen Tagen für alle Ewigkeit in Beton gegossen. Irgendwann wird vielleicht einmal ein christdemokratischer Bürgermeister den Stein wieder schleifen lassen. Facundo Guardado wird, kaum dem Hubschrauber entstiegen, von zwei Dutzend Reportern umringt, im Pulk der Journalisten kämpft er sich zum Mikrophon durch. „Diesen Krieg haben wir gewonnen“, beginnt er, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zum Victory-Zeichen gestreckt. Der 16. Januar sei möglicherweise das wichtigste Datum in der Historie El Salvadors seit 1821, dem Jahr, in dem das mittelamerikanische Land in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Und nach 60 Jahren Diktatur werde jetzt wieder Demokratie einkehren. Doch daß die allein die Campesinos nicht satt macht, weiß auch der Guerillaführer, und so mahnt er denn zur Geduld: „Die Veränderungen werden sich nicht vom ersten Tag an einstellen.“

Die Leute mögen den bärtigen Comandante, er ist einer der ihren, aufgewachsen in Arcatao, zwei Dörfer weiter. Viele kennen ihn noch aus den Zeiten der 70er Jahre, als er Führer eines linken christlichen Bauernverbandes war, dessen Mitglieder dann angesichts der Repression zu Beginn der 80er Jahre in Massen über die Grenze nach Honduras oder in die Guerilla flüchteten. „Der war damals schon ein pfiffiger Junge“, erinnert sich ein schmächtiger Campesino, zahnlos und in fortgeschrittenem Alter, der dem Redner ausgiebig Beifall spendet und sich schließlich als Onkel des Guerillakommandanten vorstellt. Drei Stunden Fußmarsch hat der Alte auf sich genommen, um seinen Neffen zu hören.

Der große Platz vor der Kirche hat sich mit einigen tausend Leuten gefüllt. Viele sind aus den umliegenden Dörfern gekommen. Sogar aus der drei Autostunden entfernten Hauptstadt sind ein paar hundert Gäste angereist, viele einfach um ihre Verwandten und Freunde zu treffen. Mütter umarmen ihre Söhne, die aus den Guerillacamps in den Bergen ins Dorf hinuntergekommen sind. Männer schlagen sich in einer halben Umarmung gegenseitig die flache Hand auf den Rücken — die übliche Begrüßung zwischen Gleichgesinnten. Guerilleros knutschen ihre Freundin, das Gewehr immer geschultert. Es wird das große Wiedersehen gefeiert, hier in San Jose las Flores, dem 800-Seelen-Dorf, das Mitte der 80er Jahre völlig ausgestorben war, nachdem die Militärs in ihrem Bemühen, die Guerilla auszutrocknen, sämtliche Bewohner dieser Gegend in die Flucht getrieben hatten. Viele Jugendliche verstärkten damals die Reihen der Aufständischen. 1986 waren dann gegen den Willen der Armee, unter internationalem Schutz, die ersten Familien aus den Flüchtlingslagern in Honduras zurückgekehrt und hatten sich unter dem Schutz der Guerilla in ihren Dörfern wieder angesiedelt. Heute hat San Jose las Flores mehr Einwohner als vor dem Krieg.

In einem Gebäude hinter der Kirche findet die Pressekonferenz zum zehnjährigen Jubiläum statt. Wie bei solchen Anlässen weltweit üblich, wird auch hier in den Bergen die Journaille umsonst verköstigt — mit Coca-Cola, Rum aus Nicaragua (dem besten der Welt), Chips und Erdnüssen, serviert von deutschen Internacionalistas. Sie sind hergekommen, um den rückgekehrten Flüchtlingen ihre Solidarität zu zeigen. Es ist eine Aktion, die seit 1988 jährlich stattfindet. Die Präsenz von Ausländern bedeutet für die Campesinos einen gewissen Schutz. Doch seit einem halben Jahr gibt es nun auch Beobachter der Vereinten Nationen in San Jose las Flores. Die Leute mögen die Weißen von der UNO. Zwei von ihnen, italienische Carabinieri, sind zur Pressekonferenz gekommen. Aus purer Neugierde, und die Bilder, die sie schießen, sind nur fürs Familienalbum.

Am Tisch, vor der Nationalflagge El Salvadors, ergreift Comandante German, der Befehlshaber der Region, das Wort: „Es wird nun eine neue Phase des revolutionären Kampfes beginnen.“ Ein Krieg, der 75.000 Tote gefordert hat, ist vorbei. Ein Alptraum für viele. Wenn Kinder ihn zeichnen, geht es immer um Hubschrauber, schwarze Ungetüme, die vom Himmel herunterschießen. Nun ist endlich ein weißer Helikopter gelandet. Ein gutes Omen.