Der Schengen-Schwindel der CDU

■ Eine Änderung des Grundgesetzes hat mit dem Schengen-Vertrag nichts zu tun

Hannover (taz) — Ohne eine Änderung des Grundrechts auf Asyl, so will die Union vor den Wahlen in Baden-Württemberg jetzt weismachen, könne das Schengener Abkommen nicht ratifiziert werden, sei der Abbau der Grenzkontrollen in der EG nicht zu machen. In Wahrheit allerdings erfordert weder das Schengener Übereinkommen eine Grundgesetzänderung, noch dessen ausführliche Zusatzvereinbarung vom Juni 1990, das auch die Zuständigkeit für Asylverfahren regelt. Es ist das vom Innenministerium im November ausgearbeitete Ratifizierungsgesetz zu Schengen, das ohne Verfassungsänderung nicht Gesetz werden kann.

Das „sicherheitspolitische“ Zusatzübereinkommen zu Schengen legt im Grundsatz fest, daß für Asylverfahren nur jeweils das Land der bisher acht Schengen-Staaten zuständig ist, für den der Flüchtling ein gültiges Visum besitzt oder in das er zuerst eingereist ist. Stellt der Flüchtling etwa später in einem anderen Schengen-Staat einen weiteren Asylantrag, so kann dieser Staat den Flüchtling zurücktransportieren, muß es aber keineswegs. Das Akommen stellt es ausdrücklich jedem Vertragsstaat frei, aus „Gründen des nationalen Rechts“ auch Asylanträge zu behandeln, für die normalerweise ein anderer Schengen-Staat zuständig wäre. Damit kann die Bundesrepublik das Abkommen ratifizieren und dennoch weiterhin alle Asylanträge nach den Vorgaben des Artikels16 des Grundgesetzes entscheiden.

Das Ratifizierungsgesetz des Innenministers will nun allerdings alle Möglichkeiten des Schengener Zusatzabkommens ausnutzen, um Flüchtlinge loszuwerden. Als vor Verfolgung sicher sollen künftig alle Flüchtlinge gelten, die über einen der Schengen-Staaten in die BRD einreisen. Ihre Asylanträge sollen als unbeachtlich gelten. Sie können „zurückgeführt“ werden, wenn sie vor ihrer Einreise auch nur „Gebietskontakt“ mit einem anderen Schengen-Staat hatten, wofür etwa eine Zwischenlandung in einem dieser Staaten ausreichen würde. Dies widerspricht klar der bisherigen Interpretation des Artikels16 durch das Bundesverwaltunsgericht. Jürgen Voges