: Rolle vorwärts, bartfrei
■ Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Bremen turnen / Feier bei Bremen 1860
Wenn Frauen schnell laufen, hoch springen oder weit werfen und damit womöglich sogar Wettkämpfe gewinnen, dann ist dies höchst anrüchig. An ihrer Anständigkeit bestehen ernste Zweifel, ihre Gesundheit ist höchst gefährdet, sie könnten einen Bart bekommen und unansehnliche Mannweiber werden. Genügend Gründe, um Frauen von sportlichen Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen fernzuhalten.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts beherrschten solche Vorurteile noch die Männerwelt des Sports. Aber hie und da gab es doch vereinzelte „Turnvereine“, die ihre Hallen und Plätze für Frauen öffneten. Einer von ihnen, der ATSV Bremen 1860, feierte gestern in der Bremer Sparkasse ein Jubiläum: „100 Jahre Frauensport bei Bremen 1860.“
Es war im Januar 1892, 32 Jahre nach der Vereinsgründung, da richtete der Turnlehrer Arno Kunath eine erste Turnstunde für Frauen ein. Bis dahin hatten Frauen in den Vereinen allenfalls beim Besticken der Fahne oder als Zierde bei Festen eine Rolle gespielt. 54 Frauen hatten den Mut, sich an den ersten Turnstunden zu beteiligen, schon im Laufe des
Aus der Prähistorie des Frauensports: ein „Damen-Rennen" auf dem Velociped - um 1869
Jahres wuchs die Zahl auf 149 Frauen an.
Gesittet hatte es dennoch zuzugehen. Körper wurde nicht gezeigt, Übungen wie Spagat oder Überschlag waren sogar noch in den 50er Jahren verpönt. So öffneten sich denn auch zunächst die Sparten für die Frauen, wo Sport auch mit längeren Kleidern betrieben werden konnte: zunächst das Fechten, später, als erste Ballsportart, das Hockeyspiel.
hierhin bitte das
alte Bild mit radfahrenden
Frauen
100 Jahre später sind von den 3.400 Mitgliedern des größten Bremer Vereins 1.850 weiblichen Geschlechts. Das Angebot reicht von den „klassischen“ Frauensportarten wie Rhythmischer Sportgymnastik oder Ballett über Poolbillard bis zur Kampfsportart Teakwondo.
In zwei Punkten haben sich die Geschlechterrollen im Sport auch nach 100 Jahren nicht geändert. Zum einen suchen Frauen im Ver
ein, anders als die Männer, immer noch zuerst die Freude an der Bewegung und die Geselligkeit und dann erst die Leistung. Und zweitens gibt es zwar überall Frauenwartinnen und Frauenreferentinnen, doch die Vereinsführung ist nach wie vor fest in männlicher Hand. So beträgt der Anteil der Frauen in Bremer Vereinen fast 40 Prozent, aber nur eine einzige Frau ist im Präsidium des Landessportbundes. hbk
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