Unvergleichbare Aufgabe

Unvergleichbare Aufgabe

Der diesjährige Monat Januar mit dem 50. Jahrestag der berüchtigten Wannsee-Konferenz löste in Berlin eine ganze Welle von Veranstaltungen und Ausstellungen mit jüdischer Thematik aus, die einen auswärtigen Besucher mit ihrer Fülle wahrscheinlich verblüffen würden. Es entsteht somit eine beachtliche Spannweite zwischen dem Interesse und der Aufmerksamkeit, welche die Berliner dem Judentum zu denkwürdigen Anlässen widmen, und jenen, welche der konkreten hiesigen jüdischen »Lebenswelt« im Alltag gelten. Diese Spannweite zu verringern — das ist eine der Aufgaben, die sich der Öffentlichkeitsarbeit unserer Gemeinde stellen.

Es steht beispielsweise im seltsamen Widerspruch zu diesem ostentativ bekundeten Interesse, daß parallel zu den zwei Ausstellungen im Martin-Gropis-Bau, einer in der Villa am Wannsee, einer im Rathaus Schöneberg, im Bezirk Wilmersdorf eine würdelose Debatte über Aufhebung der während der Nazizeit vorgenommenen Umbenennungen von Straßennamen verläuft. Es ist kaum glaubwürdig, wenn im Rahmen dieser Debatte fadenscheinige und lächerliche Argumente vorgebracht werden, wie zum Beispiel, daß eine solche Umbenennung die Kosten eines Neudrucks für Visitenkarten nach sich ziehen würde. Hinter einer solchen Argumentation muß eine andere Begründung, eine gefährliche Geisteshaltung vermutet werden. An solchen Vorfällen — die man nur zu oft besonders in den neuen Bundesländern beobachten muß — macht sich der Wille beziehungsweise dessen Mangel manifest, mit der Vergangenheit ehrlich umzugehen.

Es gehörte oft zum Schicksal der Juden in der Geschichte, zeitweilig zur Zielscheibe absurder Beschuldigungen und in der Folge zum Opfer von Verfolgungen zu werden. Die Ereignisse vor und nach der Wannsee-Konferenz sind hierzu ein in ihrer Qualität und Quantität einmaliges, nicht aber einziges Beispiel. Seltsamerweise scheint nicht zur Kenntnis genommen worden zu sein, daß in der Regel der verschärften Diskriminierung von Juden eine Zeitspanne folgte, während der auch breite Schichten der nichtjüdischen Bevölkerung schwere Schläge hinzunehmen hatten.

Dieser Vorgang hat seine innere Logik, denn in der Regel sind es sich ankündigende Krisenzeiten, die den Antisemitismus oder die Suche nach anderen Opferlämmern auf den Plan rufen. Ich meine, daß es nützlich wäre, auch im Rahmen der heute in der Bundesrepublik um sich greifenden Fremdenfeindlichkeit diese historische Wahrheit zu verinnerlichen. Da, wo Demagogien fruchtbaren Boden finden, deutet sich gesellschaftliche Spannung und Krise an, folglich ist erhöhte Wachsamkeit und Suche nach Lösungsmöglichkeiten — und zwar nicht einmal unter dem Vorzeichen der Solidarität mit den Bedrängten, sondern vielmehr im ureigensten Interesse — das Gebot der Stunde, und nicht Gleichgültigkeit oder gar Denkfaulheit, die zum stillen Befürworten der irrationalen Demagogien verleitet.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin steht heute vor einer Herausforderung, die mit keiner seit 1945 vergleichbar ist. Ich meine den Prozeß der Integration von Menschen, die Not und auf den Trümmern der auseinanderbrechenden Sowjetunion neu erwachender Antisemitismus zum Aufbruch getrieben hatte und die bei uns Zuflucht gefunden haben. Hier stehen wir in der Verantwortung, Leuten dabei zu helfen, zum integralen Bestandteil unserer Gemeinde und somit auch dieser Stadt zu werden, die sowohl demokratisches Denken als auch jüdische Werte erst lernen müssen. Daß wir ihnen dabei unsere schützende Hand auch noch in der Abwehr des Fremdenhasses zur Verfügung stellen müssen, macht unsere Aufgabe nicht leichter. Die Fülle der Veranstaltungen wird nur dann ihren Zweck nicht verfehlen, wenn das Bewußtsein der Verantwortung und der Notwendigkeit auch in den Alltag noch mit nachklingt. Wir als die dezimierte Jüdische Gemeinde werden alles tun, um dies zu bewirken.

Heinz Galinski ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In der Stadmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.