Redeverbot für Eisenbahngutachter

■ Verkehrssenator wollte Experten, die Bonner Vorschlag stützen, nicht zu Wort kommen lassen und hielt Gutachten zurück/ Lehrter Zentralbahnhof städtebaulich »falsch«

Kreuzberg. Verkehrssenator Haase (CDU) hatte auf der dritten Sitzung der öffentlichen »Verkehrswerkstatt« Gutachtern einen »Maulkorb« verhängt. Daneben hatte Haases Chefplaner Ural Kalender verhindert, daß ein gutachterlicher Bericht zur Eisenbahnkonzeption für Berlin auf dem Werkstatt-Termin am vergangenen Freitag verteilt wurde. Unter den Gästen stieß Haases und Kalenders Verhalten auf heftige Kritik. Erst nach dreimaliger Intervention aus dem Auditorium durften Gutachter wie Urs Kohlbrenner in der allgemeinen Diskussionsrunde ihre Schlußfolgerungen erläutern und auf Rückfragen antworten. Das Redeverbot und das Zurückhalten des gutachterlichen Zwischenberichts des Instituts für Bahntechnik (IFB) wiegt um so schwerer, weil Senator Haase mit der »Verkehrswerkstatt« die Planungen in seiner Verwaltung für die Öffentlichkeit »transparent« machen will.

Ungewollt wird das Zentrum betont

In der allgemeinen Diskussionsrunde kritisierte Kohlbrenner das von Haase favorisierte »Achsenkreuzmodell« — ein Nord-Süd-Tunnel unter dem Tiergarten mit einem Lehrter Zentralbahnhof — als »bahnbetrieblich so eindeutig und richtig wie städtebaulich falsch«. In dem der taz vorliegenden IFB-Gutachtenentwurf heißt es, daß das Modell zu einer »nichtgewollten zentristischen Entwicklung der Stadt« führe. Der Raum Lehrter Bahnhof werde zu stark betont und gleichzeitig die Entwicklungsbereiche am S-Bahn-Ring vernachlässigt. Zudem ergebe sich eine »Nutzungskonkurrenz« durch die geplante Ansiedlung des Parlaments- und Regierungsviertels. Aus stadt- und landschaftsplanerischer Sicht empfehlen die Gutachter das alternative »Zwiebelmodell« — der Fern- und Regionalverkehr würde über den Ring sowie die Stadtbahn geführt.

Einen Nord-Süd-Tunnel lehnen die Stadtplaner nicht ab. Sie erachten jedoch einen Umsteigebahnhof für Fern- und Regionalverkehr an der Friedrichstraße für sinnvoller als am Lehrter Bahnhof. Hierdurch würde die Bedeutung der Ost-City gestärkt. Der Bahnhof Friedrichstraße biete einen hervorragenden Anschluß an Nahverkehrszüge. Darüber hinaus gebe es beim Knotenpunkt Friedrichstraße aufgrund seiner Lage im bereits bebauten Bereich keine erheblichen Auswirkungen auf die Landschafts- und Freiräume wie im Bereich des »Flaschenhalses« Gleisdreieck.

Friedrichstraße könnte Ost-City stärken

Ähnliche Vorstellungen gibt es auch im Bundesbau- und verkehrsministerium. Noch am letzten Donnerstag beharrte das Verkehrsministerium laut den vorliegenden Informationen auf einem Friedrichstraßen-Tunnel. Informierte Fachplaner halten es deshalb für unwahrscheinlich, daß Berlin bis zum Termin am 15. Februar ein abgestimmtes Eisenbahnkonzept vorlegen kann.

Über alle Differenzen hinweg sind Bürgerinitiativen und Senatsverkehrsverwaltung in einem einig: Bonn muß die Vorgaben für die Eisenbahnplanung ändern. Diese fußen auf Prognosedaten aus der Bundesverkehrswegeplanung und orientieren sich überwiegend am Status quo. Insbesondere gibt es Kritik daran, daß der notwendige Ausbau der Bahnverbindungen nach Ost- und Südosteuropa nicht berücksichtigt wird. Ein Planer aus dem Umkreis der Haase-Verwaltung: »Heute verkehren täglich zehn Zugpaare nach Prag, das Bundesverkehrsministerium geht für seine Zukunftsplanung von nur vier Zugpaaren aus. Da versteht man die Eisenbahnphilosophie nicht mehr, die Berlin haben soll.«

Tunnel für Transparid soll geprüft werden

Gegenüber dem Vorkriegsstand von 1936 will Bonn nur ein Drittel der früheren Schienenkapazität ausbauen. Schon kurzfristig müsse es von der »Drehscheibe« Berlin aus eine Schnellfahrtrasse nach Warschau und Moskau geben, so auch ein Vertreter des brandenburgischen Verkehrsministers Wolf auf der Verkehrswerkstatt. Mittelfristig seien weitere Hochgeschwindigkeitsverbindungen Richtung Skandinavien und Südosteuropa erforderlich, sagte der Sprecher.

Solange Bundesverkehrsminister Krause lieber an seinem teuren Lieblingsprojekt Transrapid festhält, sind dies bloße Zukunftsträume. Auf dem Diskussionsforum war von seiten der Verkehrsverwaltung zwar erneut zu hören, daß die Integration Berlins in das ICE-Netz Vorrang habe. Trotzdem läßt die Verwaltung jetzt prüfen, wie der Transrapid in die Innenstadt fahren kann. Dem Vernehmen nach werden die verschiedenen Tunnelvarianten als auch eine Anbindung über Spandau untersucht. Thomas Knauf