: Droht ein Staatsmonopol?
Streit um Zukunft der russischen Nachrichtenagentur 'RITA‘ ■ Von Birgit Ziegenhagen
Rossiskoje Informationoje Telegrafnoje Agenstwo, kurz 'RITA‘, so wird in Zukunft die größte Nachrichtenagentur Rußlands heißen. Die BeobachterIn des Auflösungsprozesses in der ehemaligen UdSSR, die sich bereits über Pressefreiheit, mehr und bessere Agenturen freut, wird jedoch enttäuscht sein. Hinter dem Wortmonstrum „Russische Informationstelegraphenagentur“ verbirgt sich weder die Konkurrenz zu staatlichen Einrichtungen noch mehr Freiheit und Demokratie. Im Gegenteil: 'RITA‘ ist nichts anderes als die Fusion der jungen Agentur 'RIAN‘ ('RIA-Nowosti‘) und 'Tass‘, somit die Einebnung schüchterner Anfänge von Medienvielfalt.
Auch die Art und Weise, wie die russische Regierung die Entscheidung durchdrückte, erinnert eher an vergangene Zeiten als an ein neues Rußland. Ohne vorherige Beratung wurde der Parlamentsausschuß für Massenmedien vor vollendete Tatsachen gestellt. Ein entsprechendes Dekret sei bereits am 22. Januar von Präsident Boris Jelzin unterzeichnet worden, verkündete der russische Informationsminister Michail Poltaranin den erstaunten Abgeordneten Ende letzter Woche.
Während Boris Tumanow, der Genraldirektor von 'Tass‘, die Nachricht mit Gelassenheit entgegennahm, waren der Chef von 'RIAN‘, Andrej Winogradow, und der Vorsitzende des Parlamentsausschusses, Wjatscheslaw Bragin, empört, als sie von der Fusion hörten. Bragin: „Wir haben gegen diese Entscheidung, die ohne Beratung mit dem gesetzgebenden Gremium getroffen wurde, sofort Beschwerde eingelegt.“ Denn wochenlang habe er persönlich versucht, den Wortlaut des Dekrets zu erhalten. Vergeblich. Auch sei er als Vorsitzender des Medienausschusses grundsätzlich gegen eine neuerliche Politisierung des russischeschen Informationswesens. Der Grund für die schnelle Entscheidung von oben, so vermutet Bragin: Offenbar solle verhindert werden, daß die unter Beschuß geratene Regierung zu scharf kritisiert werde. Oder daß Informationen über politische Schachzüge zu früh an die Öffentlichkeit gelängen.
So geschehen im Dezember 1991. Damals verbreitete 'RIA‘ die unter Verschluß gehaltene Nachricht, die Regierung plane, einen Teil des persönlichen Sparguthabens der Bevölkerung einzufrieren. Die Neuigkeit führte zu einer verständlichen Panik im Lande. Viele machten sich sofort auf den Weg, um ihr Geld rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Die geheimen Pläne der Regierung wurden somit zunichte gemacht. Kurze Zeit später bemühte sich sogar der russische Geheimdienst, die undichten Stellen des neuen Apparates zu erforschen. Seit Ende 1991 war 'RIA‘ für die Jelzin-Regierung zur Bedrohung geworden.
Schon bei der Bespitzelung der Journalisten spielte Poltaranin nicht nur eine Schlüsselrolle — sondern auch mit dem Gedanken, die Agentur mundtot zu machen. Dimitrij Wolschek von Radio Liberty hält ihn für jemanden, der sich noch immer nach den alten Zeiten des Kommandoregimes zurücksehnt, als Informationen je nach politischem Kalkül veröffentlicht beziehungsweise zurückgehalten wurden: „Poltaranin hat die Schule der kommunistischen Presse durchschritten und verinnerlicht. Später hat er die Maske eines Demokraten aufgesetzt, und jetzt will er 'RIAN‘, die ihm im Wege steht, zerschlagen.“ Der Informationsminister habe bereits vor einiger Zeit damit begonnen, ihm unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Zuerst seien die Tarife für Telefonverbindungen und Übertragungsmöglichkeiten erhöht worden. Sichtbares Resultat dieser Maßnahme ist der Bankrott vieler alternativer Medien. Keiner derjenigen, die gegen das antidemokratische Pessegesetz waren, hätten, so Wolschek, je Unterstützung erhalten. Und schließlich sei „dieses Durcheinander um 'RIAN‘“ und ihre Auflösung angezettelt worden.
Daß politische Motive bei dem Alleingang Poltaranins eine Rolle spielen, zeigt eine weitere Ankündigung des Informationsministers: 'RITA‘ wird direkt dem russischen Präsidenten, der Regierung und dem Parlament unterstellt sein. Das hatte er vor drei Tagen erklärt und damit den ersten großen Streit um die Pressefreiheit seit Amtsantritt Jelzins vom Zaun gebrochen. „Das ist nichts anderes als die Wiederherstellung der alten Kommandozentrale“, kommentiert 'RIAN‘-Chef Andrej Winogradow. Das Ganze laufe auf die Zerstörung der Agentur hinaus und beende somit das Projekt einer unabhängigen Informationsquelle. Doch so schnell will sich der Parlamentsausschuß nicht geschlagen geben. Wenn das Dekret tatsächlich unterzeichnet sei — niemand hat es bisher gesehen — werde man das Parlament ersuchen, „seine Anwendung auszusetzen“, und dann ein Urteil des Verfassungsgerichtes darüber herbeiführen.
Was letztendlich auf dem Spiel steht, wird deutlich, wenn man die Vorgeschichte von 'RIAN‘ kennt, ebenfalls ein Zusammenschluß zweier Agenturen — 'RIA‘ und 'Nowosti‘ ('apn‘). Zum ersten Mal von sich reden machte die junge Aktiengesellschaft 'RIA‘ in der Zeit des August-Putsches. Damals existierte die Agentur, an der sich die Regierung mit 30 Prozent beteiligt, gerade acht Monate. „'RIA‘ war die einzige Agentur, die berichtete, was wirklich passierte“, erklärt Alexander Polotzki, Deutschland-Korrespondent von 'RIAN‘ in Berlin, „'apn‘ veröffentlichte dagegen nur solche Dokumente, die von der Junta kamen.“ Um die junge Agentur zu stärken und einseitige Propaganda zu verhindern, wurde 'apn‘ nach dem Putsch aufgelöst und die meisten Journalisten entlassen. Alles Eigentum ging kurze Zeit später an 'RIA‘ — die inzwischen 'RIAN‘ hieß.
Welche Struktur seine Agentur zur Zeit hat, insbesondere nach dem Dekret, weiß Polotzki nicht: „Es sieht so aus, als ob 'RIAN‘ jetzt wieder eine staatliche Agentur wird. Andererseits gab es keine Aktionärsversammlung, die die Auflösung beschlossen hätte.“ Trotz allgemeinem Chaos hält er die Fussion für einen „völlig normalen“ Prozeß. Auf einem freien Markt entstünde „früher oder später“ sowieso Konkurrenz. Sorgen macht er sich nur um die Kollegen, die entlassen werden. „Das ist noch immer ein Übel bei uns“, sagt Polotzki, „da oben werden Dekrete verabschiedet, aber wie alles ablaufen wird, ist völlig ungewiß. Da hat sich nichts geändert.“
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