Das große Absahnen

Die Treuhand läßt ihnen oft freie Hand, den Unternehmensberatern aus dem Westen  ■ VON HELMUT HÖGE

Quasi über Nacht verhalf der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten einer Berufsgruppe zu ganz neuen Verdienstquellen: den Unternehmensberatern. Auf dem Territorium der Ex- DDR werden sie von der Treuhand eingesetzt, für durchschnittlich 2.000 Mark pro Tag. Das Geld fließt reichlich, die Kontrolle ist oft mangelhaft. So ergibt es sich fast wie von selbst, daß ein Unternehmensberater auch im Aufsichtsrat sitzt und/oder zugleich als Käufer der zu privatisierenden Firma auftritt. Daraus ergeben sich in der Regel Interessenskonflikte.

So gehört es in der Bundesrepublik (alt) zu den Aufgaben des Aufsichtsrates, seiner Firma ohne zusätzliche Beraterhonorare Ratschläge zu geben. Zum Basiswissen der Marktwirtschaft gehört zudem, daß der Käufer (einer Firma) andere Interessen vertritt als der Verkäufer; ein Wissen, das manch ein Westler gerne verdrängt — zum eigenen Nutzen, wie das folgende Beispiel zeigt.

Ort des Geschehens ist der ehemals volkseigene Betrieb „Lufttechnische Anlagen“ im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg, der sich nach der Wende als „Berliner Lufttechnische Anlagen und Geräte GmbH“ (BLAG) auf den Weg in die Privatisierung begab. Von den ehemals 2.000 Beschäftigten in Produktion und Anlagenbau stehen heute noch 450 auf den Lohn- und Gehaltslisten. Der frühere Betriebsdirektor, Maschinenbau-Ingenieur Eberhard Lindner, ist jetzt Geschäftsführer.

Die Firma sollte von der Treuhand-Niederlassung Berlin in der Schneeglöckchenstraße schon lange privatisiert sein. Doch der Verkauf verzögerte sich immer wieder — neuester Termin ist nun Ende Januar. Die Zweigstelle arbeitet eng mit Consultants der Beratungsfirmen Roland Berger (Deutsche Bank), Price Waterhouse und Boston Consulting Group (BCG) zusammen — auf der erwähnten Tagessatzbasis von 2.000 Mark. Mit der BLAG beschäftigte sich ein vierköpfiges Team der Deutschen Gesellschaft für Mittelstandsberatung (DGM) — wie Roland Berger eine Tochter der Deutschen Bank. Deren Berliner Repräsentant, Wolf Kempert, gelangte wenig später und mit Einverständnis der Treuhand auf den Sessel des BLAG—Aufsichtsratsvorsitzenden. Damit war der erste Interessenskonflikt, wie man so schön sagt, vorprogrammiert.

Bereits im Mai 1991 beschwerte sich der Geschäftsführer der Fachgemeinschaft „Allgemeine Lufttechnik“ im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), Wolfgang Kühnel, schriftlich bei der Treuhand-Chefin Brigit Breuel:

„Sie können sich vorstellen, daß jede Änderung oder gar Kündigung des weiterlaufenden kostspieligen Beratervertrages angesichts dieser Konstellation so gut wie unmöglich ist. Das letzte Gespräch darüber wurde von dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der sich praktisch ständig in die laufende Geschäftsführung einmischt, mit den Worten entschieden, dafür müsse das Geld da sein. Diese Entscheidung steht im krassen Gegensatz zu der Liquiditätslage des beratenen Unternehmens. Es ist offensichtlich, daß der Aufsichtsrat nicht die Interessen des Unternehmens oder der Treuhand, sondern vor allem die seiner eigenen Beratungsgesellschaft wahrnimmt.“

Als sich wenig später einige Journalisten für den Fall zu interessieren begannen, reagierte auch die Treuhand. Deren Personaldirektor Hermann Wagner schrieb dem Geschäftsführer der Beratungsfirma DGM in München, daß „wir es nach Lage der Dinge, sprich möglicher Interessenskollision, für angebracht halten“, Wolf Kempert als Aufsichtsratsvorsitzenden abzuberufen. Den neugierigen Journalisten gestattete Wagner Einblick in die Verträge zwischen der DGM und der BLAG. Die DGM lud daraufhin Andreas Nölting vom 'Manager-Magazin‘ zwecks Offenlegung der „Beratungsleistungen nebst abgerechnetem Honorar“ zuerst ins Grand-Hotel Esplanade und dann ins Penta-Hotel ein. Soviel Aufmerksamkeit weckte erst recht den Verdacht des Wirtschaftsjournalisten: „Normalerweise hätte eine Cola auch genügt.“

Unter der Überschrift „Der Unrat der Räte“ schrieb er im Oktober: „Rund 40 Aufsichtsräte, darunter 18 Aufsichtsratsvorsitzende, haben die Treuhänder um Vorstand Koch bereits wieder abberufen (meist wegen üppiger Beraterverträge) — etwa Wolf Kempert.“ Dessen DGM habe von der BLAG „fast 800.000 DM Beratung kassiert“ (vom März 1990 bis zum Februar 1991). Inzwischen stehen gar 1,7 Millionen Mark auf der Rechnung, wovon der BLAG jedoch nach zwei harten „Verhandlungsrunden“ ihres neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Anton Frank 200.000 Mark erlassen wurden.

Nach den „Spuren einer so teuren Beratungsleistung“ suchte der zum Nachfolger Kemperts erwählte ABB-Pensionär Frank jedoch vergebens, wie er der Treuhand-Niederlassung schrieb. Die Gewährung des Nachlasses habe er auch nur erreicht „mit der Erklärung im Protokoll, daß der DGM eine ,professionelle Leistung‘ zugestanden wurde“. Nun müsse die Treuhand entscheiden, ob sie den Kompromiß annehmen oder weitere, „dann wahrscheinlich gerichtliche Schritte“ unternehmen wolle.

Die Geschichte der Interessenskollisionen bei der BLAG könnte damit zuende sein. Doch Wolf Kempert verließ seinen Aufsichtsratsvorsitz nicht, ohne noch schnell einen befreundeten bayerischen Unternehmensberater, Michael Nagl, als zweiten Geschäftsführer in die Firma zu hieven. Auch darüber beschwerte sich Wolfgang Kühnel vom Verband deutscher Maschinen- und Anlagebauer schriftlich bei der Treuhand: Kampert „versucht durch unbegründete Abmahnungen das Ausscheiden des bisherigen Geschäftsführers zu präjudizieren“. Ost-Geschäftsführer Lindner wurde vorgeworfen, zu wenig Eigeninitiative entwickelt zu haben, um Arbeitsplätze zu erhalten. Dabei hatte Lindner als erste Amtshandlung ein Büro in Moskau eröffnet, das recht bald einige größere Aufträge akquirierte. Außerdem gliederte er den Bereich Anlagen-Projektanten in eine „GT-Plan“-GmbH aus — vor allem, um so weitere 30 Arbeitsplätze zu sichern.

Verbandsjurist Kühnel hält die Vorwürfe gegen den Ostgeschäftsführer für vorgeschoben. „Selbst bei äußerst zurückhaltender Beurteilung des Sachverhalts kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier Änderungen in der Situation eines noch unter Kuratel der Treuhand stehenden Unternehmens vorbereitet werden, die eher den vorgesehenen Bewerber begünstigen könnten, als im Interesse der Treuhand oder des fraglichen Unternehmens und seiner Mitarbeiter selbst zu liegen.“

Kühnel ärgerte sich besonders darüber, daß Kempert per nachträglicher Änderung des Aufsichtsrats-Sitzungsprotokolls und ohne Information der Geschäftsführung der BLAG einen weiteren Geschäftsführer, eben Michael Nagl, bestellt hatte. Der ließ sich zudem in einer „Absichtserklärung“ im Anhang seines Arbeitsvertrages schriftlich geben, daß man sein Privatisierungskonzept für die BLAG „mit Nachdruck“ unterstütze und Nagl „wesentliche Anteile (mindestens 35 Prozent) am Unternehmen“ erwerben könne.

Weil Nagl somit selbst zum Kreis der potentiellen Käufer der BLAG gehörte, beschwerte sich Kühnel (im Namen der wahrscheinlich ebenfalls an der BLAG interessierten Verbandsmitglieder), daß Nagl „nunmehr einen gegenüber anderen Interessenten nicht zu rechtfertigenden Vorteil“ genieße. Das sei im übrigen auch „sehr zum Nachteil der Treuhand, die jedoch über das gesamte Vorgehen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden (ohne Einschaltung des Geschäftsführers) ständig informiert wird“.

Der als zweiter Geschäftsführer für die Produktion und den Bereich Marketing sowie als „Sprecher der Geschäftsleitung“ eingestellte Westgeschäftsführer hat noch mehr Verhandlungsgeschick bewiesen. Der auch von der Treuhand akzeptierte Dienstvertrag bietet ihm neben dem täglichen 2.000 Mark Beraterhonorar außerdem üppige Geschäftsführer-Privilegien, wie „angemessener Dienstwagen“, „Dienstreisen“, „sonstige Spesen und Repräsentationskosten“ und zudem ein „Wettbewerbsverbot“, das ihm beim Ausscheiden ein Jahr lang 1.000 Mark pro Tag sichern würde. Zum Vergleich: Ost-Geschäftsführer Lindner bekam und bekommt 8.000 Mark — im Monat.

Damit war der Konflikt vom Aufsichtsrat in die Geschäftsführung verlagert. Auch Nagl versuchte als erstes, den Ost-Geschäftsführer aus der Firma zu drängen. Nachdem er mit diesem zweimal gesprochen hatte, schrieb er in sein „Konzept“ unter der Überschrift „Allgemeine Beurteilung“: „Die Firma wird derzeit nicht gemanagt und geführt, sondern verwaltet. Dies zeigt sich besonders in der Geschäftsführung. [...] Es ist dringend erforderlich, eine Unternehmer-Persönlichkeit einzusetzen, die es versteht, die zweite und dritte Hierarchieebene zu motivieren, zu führen und zu organisieren.“

Nach einem halben Jahr, im Dezember 1991, war der in Vilshofen („da, wo Franz-Josef Strauß herkommt“) geborene Nagl sich sicher, daß er die richtige Unternehmerpersönlichkeit für die BLAG war. Und die wollte er der Berliner Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten, weshalb er zu einer Pressekonferenz lud.

Zur gleichen Zeit hatte in der Treuhand-Niederlassung in der Schneeglöckchenstraße gerade ein neuer Privatisierungsdirektor, Hans Christoph Wolf, angefangen. Wolf besprach zwar erst einmal mit Nagl „die Problematik der Verträge“, ermunterte diesen aber ansonsten zu seiner öffentlichen Präsentation: „Je positiver eine Firma dargestellt wird, auch in der Öffentlichkeit, desto positiver ist auch das Wertegerüst.“

Das wiederum hätte sich früher oder später natürlich auch auf den BLAG-Preis der Firma steigernd ausgewirkt — woran Nagl als potentieller Käufer kein Interesse haben konnte. Wohl deswegen sagte er die Pressekonferenz am nächsten Tag wieder ab. Den Ostgeschäftsführer hatte er weder von der geplanten Pressekonferenz noch deren späterer Absage informiert.

Auch Lindner hatte inzwischen ein Sanierungskonzept entwickelt und sich gemeinsam mit einigen mittelständischen Anlagen- und Ventilatorenbau-Betrieben — via Management-Buyout — selbst als Käufer beworben. So standen sich nun auch noch zwei konträre Sanierungskonzepte gegenüber.

Denn Nagl hatte für das seine bereits die „Projektvorbereitung“ initiiert — und dafür einen süddeutschen Geschäftsfreund, den Architekten Ulrich Zink, beauftragt. Zink mietete sich und seine Firma „integra“ gleich in das Verwaltungshochhaus der BLAG ein. Für seine Gutachtertätigkeit bekam er bis jetzt 16.000 Mark.

Zink wirkte später am Treuhand- Wertgutachten mit, in dem für die BLAG ein Gesamtwert von 27 Millionen Mark festgelegt wurde. Industrieexperten halten diese Summe für viel zu niedrig angesetzt. Ein Berliner Unternehmensberater ist sich sogar sicher, daß der Betrieb „fürn Appel und 'n Ei weggegeben werden soll und die Manager in der Treuhand dies vertuschen wollen“.

Etwas freundlicher könnte man formulieren, daß das Nagl-Zink- Konzept eher auf ein Immobiliengeschäft hinauslaufen würde. Darin hätten die 700 projektierten Arbeitsplätze nicht mehr unbedingt etwas mit der derzeitigen Produktion zu tun. Der gelernte Triebwerksingenieur Lindner hingegen würde notfalls den Betrieb „auf die grüne Wiese“ verlagern und dabei auch auf die „nicht-betriebsnotwendigen Teile, etwa die Hälfte“ der Immobilie verzichten.

Die Belegschaft der BLAG ist inzwischen ebenfalls gespalten. Der Betriebsratsvorsitzende, Wolfgang Friedricher, erfreut sich in einer „Allgemeinen Beurteilung“ des Westgeschäftsführers des Lobes, daß „er nicht nur die Interessen der Mitarbeiter, sondern auch des Unternehmens vertritt“. Friedricher hatte im Aufsichtsrat einen Mißtrauensantrag gegen Lindner gestellt, war damit allerdings nicht durchgekommen. Im Betriebsrat stellten daraufhin die eher dem Ostgeschäftsführer zugeneigten Mitglieder einen entsprechenden Antrag gegen Friedricher. Der Betriebsratsvorsitzende soll die Geschäftsführung der „Ausbildungs- und Lerngesellschaft“ (A & L GmbH) übernommen haben, in der die entlassenen BLAG-Beschäftigten aufgefangen werden sollen. Auch dieser Mißtrauensantrag scheiterte: Friedricher versicherte, er hätte noch keinen Vertrag mit der Beschäftigungsgesellschaft unterschrieben. Auf dem Briefpapier der A & L ist er jedoch als Geschäftsführer eingetragen.

Nagl hatte zudem im Sommer versucht, Lindner über die Rote-Socken-Schiene ins Aus zu manövrieren. Nagl informierte die Treuhand über sein Gespräch mit dem ehemaligen Betriebsdirektor Hüttenrauch, in dem die rote Vergangenheit des Ostgeschäftsführers thematisiert worden sei. Das Informantengespräch fand übrigens bei einem Essen mit Ehefrauen im Dom-Hotel statt — die Spesenkosten in Höhe von 595 Mark rechnete er hernach über die BLAG ab.

Lindner scheint das Gebahren seines Westpartners Nagl mittlerweile mit Fassung, wenn nicht gar Humor zu tragen: „Der tritt permanent so auf, als würde ihm das Unternehmen schon seit zehn Jahren gehören.“ Angeblich auch gegenüber Kaufinteressenten aus dem Westen.

Treuhand-Privatisierungsdirektor Wolf scheint jetzt einer eher salomonischen Lösung zugeneigt zu sein: der Trennung von Anlagenbau und Produktion. Der Anlagenbau macht allerdings nur einen Teil des Umsatzes aus. Bekommt Lindner den Anlagenbau auf der grünen Wiese, und Nagl die Produktion samt 50.000 Quadratmeter-Grundstück?