Potsdam — ein deutsches Disneyland?

1.000 Baudenkmäler in Brandenburgs Hauptstadt / Touristenrun auf das Grab des alten „Fritz“  ■ Aus Potsdam Heide Platen

Die marmorne Flora auf dem Grab Friedrichs des Großen ist, wie alle Statuen im Park Sanssouci, in einem grauen Bretterhäuschen wintergeschützt verpackt. Auf der letzten Ruhestätte des Königs blüht es auch ohne die eingemottete Göttin. BesucherInnen der brandenburgischen Landeshauptstadt zünden Kerzen an, legen Rosen und Nelken, Lorbeerzweige mit goldenem Bande nieder. Reisegruppenweise erklimmen sie die fünf geschwungenen Terrassen auch im Winter, begutachten die akkurat viereckig gestutzten Buchsbaumpyramiden und die hinter Glas geschützten, knorrigen Feigenstöcke.

Der „Alte Fritz“ ruht zwar erst seit vorigem Sommer bei seinen Hunden. Auch die haben hier ihre Steine. In Sanssouci aber ist mit der Totenruhe des Monarchen der touristische Alltag eingezogen. Die Fremdenführerin weist jede Besuchergruppe darauf hin, daß das Grab rund um die Uhr bewacht wird und eine elektronische Alarmanlage das königliche Mobiliar und die Gemälde „auf zehn Schritt Entfernung“ vor Dieben sichert. Ihre Erfahrung: „Das ist auch notwendig.“

Alltag ist auch in der Potsdamer Innenstadt eingekehrt. Überall wird gebaut, restauriert, rekonstruiert, gehämmert und genagelt. Das verfallene Holländische Viertel, 1733 als Unterkunft für niederländische Handwerker und Künstler angelegt, bekommt seine geschwungenen Backsteinfassaden und schmucken weißgrünen Fensterläden zurück. Die zweistöckigen barocken Bürgerhäuser, die Villen und Schlößchen erstehen samt Putten und Pickelhauben im alten Glanz.

1.105 Baudenkmäler weist der Bauleitplan des Potsdamer Magistrats aus, darunter eine alte Litfaßsäule, Gedenktafeln und Kandelaber. Die Mieten und Grundstückspreise steigen ins Uferlose.

Da bleibt für die Neubaugebiete in der Vorstadt, in Schlaatz und Am Stern wenig Geld übrig. 1991 seien, klagt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Rolf Kutzmutz, nur 300 neue Wohnungen gebaut worden, 1992 sollen es noch weniger sein: „Und keine einzige Sozialwohnung dabei.“ Mit seinem Wunsch, Potsdam möge kein „deutsches Disneyland“ werden, tut er sich, das weiß er auch, schwer in der Stadt.

In der Fußgängerzone, der großzügig angelegten Brandenburger Straße, signalisieren ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund, daß die Zeichen auf Sturm stehen. Das Schaufenster ein einziger Hilferuf: „Hier stirbt Ihr Wäschegeschäft!“ Die Gewerbetreibenden haben sich seit Weihnachten in der Aktion „Hermes hilf“ organisiert. Das Ehepaar Beelitz vom Wäschehaus kämpft exemplarisch darum, wenigstens eines seiner beiden Ladenlokale zu behalten.

Gegner ist die Ladenkette der Schuhfirma Tack. Tack ist 1945 „in den Westen gegangen“ und will seinen Firmen-Stammsitz zurück. „Die kamen“, sagt Barbara Beelitz, „mit knallharten Anwälten.“ Sie hofft trotzdem darauf, wenigstens einen Teil der Geschäftsräume behalten zu können. Es gebe da Bestimmungen im Einigungsvertrag. Schließlich stimme ihr Geschäftskonzept, das nur nebenbei auf die derzeit an allen Ecken angeboteten Dessous und mehr auf erschwingliche Waren für NFL-Einkommen setzt. Besonders begehrt sind die Restposten der Unaussprechlichen aus grauem Flanell des VEB Karl-Marx-Stadt, 9,50 Mark das Stück.

Das Zigarettengeschäft nebenan wird schließen, der Konsum-Imbiß hat schon aufgegeben. Kein Wunder: Die Stadt schätzt den Grundstückspreis für ihre künftige Nobelmeile Brandenburger Straße auf 1.200 Mark pro Quadratmeter, inoffiziell werden schon bis zu 4.000 Mark geboten.

Das Schloß Cecilienhof am Ufer des Jungfernsees ist eines der historischen Denkmäler der Stadt. In einem seiner gedrungenen Fachwerk- und Backsteinflügel bietet ein Luxushotel seine Dienste an. Über den Hof geht es zur historischen Gedenkstätte. Hier unterzeichneten Winston Churchill, Harry Truman und Josef Stalin, „The Big 3“, 1945 das Potsdamer Abkommen, das als Kriegsschuld die Teilung Deutschlands und die Reparationszahlungen festschrieb. Im rechten Flügel ist inzwischen ein „happy“ Autoverleih eingezogen. Während in der Stadt nach und nach die Straßen des realen Sozialismus um- und zurückbenannt werden, wird hier ein roter Stern auf dem grünen Rasen der Blumenrabatte auch in diesem Frühjahr denkmalgeschützt wieder erblühen: Rosen, umrahmt von blauen Hortensien.

Die kleinen Dörfer rund um Potsdam liegen in Wintereinsamkeit an zugefrorenen Ufern, die Boote sind abgedeckt. Wer hier auf den Tourismus setzte, ist skeptisch geworden. In der Seenlandschaft ticken die ökologischen Zeitbomben. Es fehlen Kläranlagen. Der Templiner See ist für den Badebetrieb gesperrt worden.

Die Stadt Potsdam mit 140.000 Einwohnern hat derzeit 1.283 Hotelbetten und Platz für 300 Campingzelte und Wohnwagen zu bieten. Auch der „Kiez“ in Babelsberg klagt. Die kleinen Geschäftsleute wandern ab, internationale Konzerne bieten hohe Summen für ganze Straßenzüge. Im Magistrat streiten Neues Forum und PDS darum, ob das Dörfchen Sacrow, durch die ehemalige Grenze im Sperrgebiet von Potsdam abgeschnitten, eine neue Zufahrtsstraße bekommt.

Die brandenburgische Landeshauptstadt, sagt Jungunternehmer Peter F., geht ebenso harten wie bewegten Zeiten entgegen: „Für die einen der volle Luxus, für uns im Plattenbau nix.“ Eine „repräsentative Auswahl“ des Presseamtes der Stadt weist die Firmenverkäufe aus. Die meisten Unternehmen auf der Liste versuchen, sich mit dem „Management Buy Out“, Gesellschaften mit westdeutschen Kapitalgebern und Belegschaftsbeteiligung, über Wasser zu halten. Den Zug der Zeit, meint Peter F., werden sie nicht aufhalten: „Die Firma Märkische Backwaren heißt jetzt eben Bellevue Feine Kuchen.“