Stahlwerker eilen zu den Urnen

■ Urabstimmung über einen Arbeitskampf in der Stahlindustrie läuft/ IG Metall optimistisch/ Kohl fordert Konsolidieren statt Verteilen/ DGB-Chef Meyer sieht Nutzen für Osten bei hohem Abschluß

Dortmund/Frankfurt (ap/taz) — In vier Stahlbetrieben Nordwestdeutschlands, darunter zwei im Ruhrgebiet, hat die Urabstimmung über den ersten Streik des Jahres 1992 begonnen. Seit der Nacht zum Sonntag können die Stahlarbeiter der Hoesch-Westfalen-Hütte in Dortmund und bei Thyssen-Stahl in Duisburg für oder gegen einen Streik abstimmen. Die Befragung der Gewerkschaftsmitglieder über den Arbeitskampf sei „planmäßig und ganz entschlossen“ angelaufen, so Harald Schwartau vom Dortmunder Bezirk der IG-Metall. Über die Beteiligung der Belegschaftsmitglieder beider Unternehmen konnte der Gewerkschafter gestern noch keine Angaben machen. Die Urabstimmungen laufen noch bis zum Donnerstag.

Die Gewerkschaft hatte die Urabstimmung beschlossen, nachdem die Tarifverhandlungen für die etwa 135.000 Stahl-Beschäftigten im Nordwesten in der vergangenen Woche endgültig gescheitert waren. Rund 120.000 der Stahl-Arbeiter sind in der IG Metall organisiert.

Die IG Metall hatte in der letzten Verhandlungsrunde ein Modell vorgelegt, in dem sie insgesamt rund 6,15 Prozent mehr Lohn verlangte. Die Stahlarbeitgeber hatten nach Gewerkschaftsangaben dagegen nur Einkommensverbesserungen um 5,4 Prozent angeboten. Sollten sich bis zum Donnerstag 75 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Belegschaftsmitglieder in den Stahlbetrieben für Arbeitskampfmaßnahmen aussprechen, könnte es schon in den ersten Februartagen zu Streiks an den Hochöfen kommen. IG-Metall- Chef Franz Steinkühler kündigte an, mit der Urabstimmung würden „die Karten neu gemischt“.

Außerhalb der eigentlichen Tarifrunde ist unterdessen die politische Auseinandersetzung um den möglichen Stahlstreik heftiger geworden. Bundeskanzler Kohl erklärte am Samstag auf dem Parteitag der rheinland-pfälzischen CDU, es sei jetzt nicht die Stunde des Verteilens, sondern des Konsolidierens. In der Tarifpolitik dürfe nichts getan werden, „was den ökonomischen Aufstieg in den neuen Ländern zerstört“.

Der DGB-Vorsitzende Meyer sieht diese Störung durch die Forderungen der Gewerkschaften nicht. „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordern ihren gerechten Anteil am Volkseinkommen. Was nützt es Ostdeutschland, wenn im Westen ungerecht verteilt wird, wenn die Gewinne explodieren und die Löhne stagnieren?“ Die Unternehmen verfügten derzeit über 670 Mrd. Mark, die sie im Osten investieren könnten. Gute Tarifabschlüsse im Westen würden auch den Menschen im Osten nutzen, so Meyer. Im Bankgewerbe steht möglicherweise der erste Streik der Nachkriegsgeschichte bevor. Die Banken hatten 5 Prozent angeboten, die Gewerkschaften 10 gefordert. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) will heute über eine Urabstimmung entscheiden. „Wenn wir unsere Mitglieder unter den 430.000 Bankangestellten dazu aufrufen, dann wird dies umgehend geschehen und bis zum Streik wird dann auch keine lange Zeit vergehen“, sagte DAG-Vorstandsmitglied Gerhard Renner. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes im privaten Bankgewerbe, Klaus Dutti, bezweifelte hingegen, daß die Gewerkschaften zu einem flächendeckenden Streik im Bankgewerbe in der Lage seien. „Die Gewerkschaften haben nicht den entsprechenden Organisationsgrad, um flächendeckend Aktionen durchzuführen“, sagte der Arbeitgebervertreter. ten