Strichmännchen suchen einen Autor

■ Künstlerbücher von A. R. Penck im Treptower »studio bildende kunst« — nur der Künstler fehlt

Wo unter dem immergleichen Anderson-Foto in den Stasi-Enthüllungen der Presse nur noch »Spitzel« steht, gerät die Vernissage zu einer Ausstellung von »Künstler-Büchern«, die der Dichter herausgegeben hat, notwendigerweise zu einer seltsamen Veranstaltung. Alles mag noch so sehr sein wie früher, doch es ist anders, ein bißchen nur, wie in den Romanen Gomrowicz'. Man hat das Gefühl, als würden sich manche lange überlegen, wie sie ihn grüßen sollen. Von weitem oder mit der Hand oder gar nicht. Später erst wird Anderson vor die Fernsehkameras gezerrt.

Wie bei jeder Ost-Eröffnung gibt's Musik am Anfang. »L. Fiedler spielt guitar, live electronics, tapes«, ein kleines Mädchen hält sich die Ohren zu, der legendäre Ex-DT-64-DJ Roland »electric« Galenza flieht in die hinteren Räume und sagt, so wäre die Musik immer bei Ausstellungen.

Auch wenn Sascha Anderson am Rande nur und ziemlich mitgenommen auf dem Fensterbrett sitzt, steht er als Unperson im Mittelpunkt. »Spitzel-Anderson« geistert in den Köpfen rum, während der Dichter und Kunstorganisator sich mit seinem Dichterfreund Bert Papenfuß-Gorek oder dem Aspekte-Journalisten Christian Kulik unterhält. Wie man hört, möchte der sympathische Pressemensch übrigens sein achtstündiges Interview in Fortsetzungen bei DT64 senden.

Ein Fotograf aus dem Westen meint ein bißchen verächtlich, die Besucher seien doch nur gekommen, um den angeschlagenen Dichter zu stützen. Ein Kreuzberger Rechtsanwalt fand es »richtig gut« und »mutig«, daß Anderson gekommen war. Und Longest F. Stein, einer der drei Galeristen vom »studio bildende kunst«, erzählt, daß die Ausstellung gar nicht ohne Anderson hätte stattfinden können. Die Exponate an den Wänden stammten sämtlich aus dessen Privatbesitz. »Alle Bücher, die Penck in den letzten zwölf Jahren gemacht hat, hat nun einmal Sascha Anderson herausgegeben. Das kann man überhaupt nicht umgehen. Das ist nun mal so, und das muß man auch so lassen. Und diese euphorisch angeheizte Diskussion, die sehr emotional läuft, die stört mich doch sehr«, sagt Longest F. Stein, der seinen Namen bekam, als er noch der Größte in der Klasse war. Daß A.R. Penck, der inzwischen in Dublin lebende Meister, nicht da ist, hätte nichts mit Anderson zu tun. »Gestern hat er noch versichert, daß er kommen würde. Das muß man einfach nachsehen. Möglicherweise kommt morgen ein Anruf, wo er sagt, daß er versackt ist und den Flieger verpaßt hat.«

Auch Sarah Kirsch, die langjährige Freundin des Dichters, fehlt. Inzwischen meidet sie alle Orte, an denen Anderson sein könnte. Die Papiergrüße zu ihrem Buch Wallenstein, die in einem Flur zwischen den vier Ausstellungsräumen hängen, sind wunderschön, selbst wenn ein sachverständiger Kunstbetrachter bemerkt, daß Penck sich in dieser Technik noch übt. Baumgrün, schwarz, herbsthimmelblau oder rot, seltsam zurückhaltend, nicht ganz so leuchtend wie ein Aquarell, nicht ganz so versunken, wie Farben auf Löschpapier. Das Zentrum fehlt, auch wenn ein schwarzer Mann bedroht oder drohend die Hand hebt. So können sich die Bilder besser als bei den anderen Künstlerbüchern mit den Texten verbinden. Und die sind traurig, welt-, natur- und menschenverbunden: »Wir haben hier inzwischen / Alle zu trinken angefangen ... / Die Bäume und Hirsche auf den / Tapeten haben Sehnsucht ins Freie zu gelangen / Fenster und Türen sind / auf immer verriegelt und / gänzlich verschlossen. Niemand / kann sagen was für eine / Jahreszeit herrscht. / ... / Ach wie unglücklich wir / Alle sind und rauchen / Schwer betäubendes Zeug.« — In den anderen Räumen wirken die Bilder für sich. Grafiken zur Müllerschen Wolokolamsker Chaussee, die ein bißchen an die zwanziger Jahre erinnern: ein sechsmal durchlöchertes Gespenst in der Nacht, das von Penckmännchen beiläufig am Rand nur begleitet wird, ein bäuchlings auf einer gegitterten Bettdecke hingestreckter Akt mit viel Geheimnis und Zigarette im ausdruckslosen Gesicht oder eine Spielhalle, die kohleschwarzweiß mit einer Pepsi im Vordergrund sehr romantisch selbstverloren vor sich hinträumt. Eigenständig und gestenreich auf buntem Grund begleiten ein paar schwarze Penckmännchen in dem Künstlerbuch Tysk die Gedichte von Bert Papenfuß-Gorek oder illustrieren leichthin — ein Haus, eine Landschaft, ein Baum vielleicht — die sehr amerikanischen Beatassoziationen oder Gesprächsprotokolle einer gemeinsamen Irlandreise.

Es ist eine großartige Ausstellung, auch wenn man bei den Penck-Kaltnadelradierungen, die Andersons Jewish Jetset illustrieren, gerne wüßte, welches Bild welches Gedicht meint, auch wenn das sinnliche Gefühl fehlt, das entsteht, wenn man das wirkliche Buch in den Händen hält.

Während die BesucherInnen nicht mehr auf Anderson, sondern auf die Bilder schauen, bewundert ein Cottbuser Galerist die Elefanten, die Luise, die kleine Tochter des Ex-Ost- taz-Chefs Meier, in ihr Skizzenbuch geklemmt hat, und erzählt begeistert von seiner Therapie bei Herrn Maaz (Gefühlsstau, Die Einheit beginnt zu zweit etc.). Dann ruft neckend eine Frau, die in der letzten Volkskammer für die Grünen saß: »Tschüß, alter Mann, wir sehen uns.« Der Galerist auf der Treppe winkt freundlich zurück. Detlef Kuhlbrodt

Kulturamt Treptow, »studio bildende kunst«, Baumschulenstraße 78, O-1195 Berlin, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 13-18 Uhr, Sonntag 14-18 Uhr; S-Bahn Baumschulenweg