»Seit sechs Wochen bekannt«

■ taz-Umfrage: Was halten Sie davon, daß Till Meyer, ehemals Mitglied der anarchistischen Bewegung 2. Juni und später taz-Redakteur, als Informeller Mitarbeiter für die Stasi arbeitete?

Bommi Baumann, Ex-Mitglied der Bewegung 2. Juni: Der hatte wohl den festen Glauben, daß er via Stasi den Imperialismus bekämpft. Aber er hat hier nicht Kohl bespitzelt, keine Immobilienhaie und keine Nazis, sondern lauter systemkritische Leute, von denen er womöglich auch Psychogramme für die Stasi erstellt hat — und das ist jetzt alles für den Verfassungsschutz zugänglich. Jetzt profitiert der böse Klassenfeind davon. Als Anarchist ist er ein echter Verräter. Wir vom 2. Juni waren schließlich schwarz und nicht rot. Der kann nicht sagen, wir sind antiautoritär, und dann zum nächsten Unterdrücker laufen. Für mich ist das knallharter Verrat.

Ronald Fritzsch, Ex-Mitglied des 2. Juni: Ich bin nicht überrascht, denn ich wurde schon vor sechs Wochen darüber informiert. Natürlich bin ich von ihm enttäuscht, aber das hat andere Gründe. Er ist nur deswegen in die Offensive gegangen, weil viel darüber geredet wurde. Ich glaube nicht, daß er, wie er im 'Spiegel-TV‘ sagte, niemand geschadet hat, aber wir können es nicht beweisen. Es gibt Hinweise, daß nicht nur die Stasi Informationen bekommen hat. Sein Problem ist, daß sein Selbstdarstellungsbedürfnis stark ausgeprägt ist, seine Dienste für die Stasi haben bestimmt damit zu tun.

Dirk Schneider, Ex-AL, Ex- Stasi-Mitarbeiter: Till Meyer ist ein hochanständiger ehrenwerter Mensch. Die Auseinandersetzung über die Stasi-Vergangenheit ist doch verlogen. Es wird nur ausgegrenzt und niedergeschmettert. Jetzt wird nur noch gesagt, die Stasi war eine verbrecherische Organisation. Till Meyer hat aber gesagt, und das meine ich auch, die DDR war der bessere deutsche Staat. Dieser Aspekt der politischen Überzeugung wird in der ganzen Stasi-Aufarbeitung völlig unterdrückt.

Wolfgang Wieland, AL: Ich halte ihn für einen Überzeugungstäter wie Dirk Schneider. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er während seines 2.-Juni-Prozesses zum DDR-Sympathisanten geworden ist. Das macht die Sache nicht besser. Seine Hauptverdienste waren seine Enthüllungen über den Berliner Verfassungsschutz. Ob er das als Journalist oder als Stasi-Mitwisser erreichte, ist wohl nicht mehr auseinanderzuhalten. Die politische Frage ist jetzt, inwieweit die Stasi ihre Finger bei den Enthüllungen des VS- Skandals drin hatte, der einen gewissen Einfluß auf das rot-grüne Wahlergebnis hatte. Till Meyer war derjenige, der den V-Mann Teltschow zu dem Geständnis gebracht hat, daß er damals Erich Pätzold als SPD-Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für den VS ausspioniert hat. Vielleicht war Teltschow auch ein Stasimann. Man wird noch mit weiteren Überraschungen rechnen müssen. Nach wie vor wollen wir wissen, welche Journalisten für den VS arbeiten.

Klaus Eschen, Anwalt, SPD: Ich finde es mutig und außergewöhnlich, daß Till Meyer zu seiner Stasi-Arbeit steht. Ich frage mich, wo all die anderen Überzeugungstäter bleiben. Aber wer sich im Westen offenbart, ist bürgerlich tot. Und solange wird sich niemand offenbaren. Umfrage: usche/aku/plu

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