Richter bringt Licht in die Ustica-Affäre?

Täglich neue Enthüllungen, seit 13 italienische Generäle und Offiziere wegen des DC-9-Abschusses 1980 angeklagt wurden/ Der Verdacht, daß die Ramstein-Katastrophe mit der Ustica-Katastrophe zusammenhängt, ist nicht ausgeräumt  ■ Aus Rom Werner Raith

So recht geheuer scheint Italiens Regierung nicht zu sein, was da derzeit just in jenem Skandalfall zutage kommt, dessen „endgültige und restlose Aufklärung“ sie einst zum ernstesten aller juristischen Anliegen erklärt hatte: den Absturz einer DC9 Passagiermaschine der Fluggesellschaft Itavia nahe der Mittelmeerinsel Ustica am 27. Juni 1980, bei dem alle 81 Personen an Bord umkamen. Ein Fall, über den es bereits einen kriminalistisch nachgestellten Enthüllungsfilm gibt („Mura di gomme“), bei dem aber vor allem „so viel gelogen, getrogen, verwischt, abgelenkt, gefälscht — und gestorben wurde wie vielleicht in keiner anderen Affäre unseres an Affären nicht gerade armen Landes“, wie sich Sergio De Julio, Mitglied des Untersuchungsausschusses zur Aufhellung von Attentaten, schon vor Jahren entsetzte.

Militärspitze angeklagt

Doch nun, wo der untersuchungsführende Richter Rosario Priore vier Generäle und neun andere hohe Offiziere mit Anklagen von Beweismittelunterdrückung bis Hochverrat überzogen hat, weigert sich das Kabinett Andreotti, als Nebenkläger aufzutreten — was ein noch entschiedeneres Vorantreiben des Prozesses, vor allem aber die Aufhebung zahlreicher Geheimhaltungsvorschriften ermöglichen würde.

Daß das Flugzeug auf dem Weg von Bologna nach Palermo seinerzeit nicht wegen Piloten- oder Materialfehlers aus fast 10.000 m Höhe heruntergestürzt war und daß auch keine Bombe an Bord war, hatten sowohl Aeronautiker wie der (darob wegen Verbreitung von Falschmeldungen verurteilte) Chef der Itavia schon bald herausgefunden. Gleichwohl blieben die Reste des Flugzeugs noch bis 1987 unbehelligt am Meeresboden liegen, und keiner der offiziellen Ermittler machte sich bis dahin die Mühe, auch nur nach dem Flugschreiber suchen zu lassen.

Kette tödlicher Unfälle

Doch genau in jenen Kreisen, die den „Unfall“ einem Fliegerangriff oder einer verirrten Rakete zuschrieben, begann alsbald jenes merkwürdige Sterben, das Kommissar De Julio so beindruckt hat: da kam der Kommandant des mittelitalienischen Militärflugplatzes Grosseto ebenso bei einem unerklärlichen Autounfall um wie der Bürgermeister der nahen Stadt, der wie der Soldat etwas von einem „regen militärischen Flugverkehr und möglichen Zusammenstößen mit einer feindlichen Luftwaffe“ berichtet hatte. Dann zog man einen Feldwebel tot, aber unverletzt unter einem auf ihn gefallenen Motorrad hervor und begrub ihn eilig — erst später wurde bekannt, daß der Mann allerhand über einen ebenfalls in der Ustica-Nacht geschehenen Absturz eines arabischen (nach einer Version lybischen, nach der anderen syrischen) MIG-Jägers wußte: Der war im unteritalienischen Sila-Gebirge genau auf der Höhe der Insel Ustica in einem unwegsamen Gebirgsstück zu Bruch gegangen und sofort von CIA-Spezialisten beäugt worden. Doch seine Absturzzeit wurde von Geheimdiensten um 18 Tage nachverlegt.

Dann erlitt der damals diensthabende Radarchef von Grosseto mit nur 35 Jahren einen Herzinfarkt. Ein weiterer in einem anderen Überwachungsposten stationierter Lotse, der am Morgen nach dem Absturz zu Hause etwas von einem „beinahe ausgebrochenen Krieg“ gestammelt hatte, geriet 1988 nach einer zeitweisen Versetzung auf einen französischen Stützpunkt in eine schwere seelische Krise und wurde schließlich erhängt aufgefunden.

Schließlich starben am 28. August 1988 beim Zusammenstoß der Kunstflugstaffel „Frecce tricolori“ über Ramstein (70 Tote) zwei Piloten, von denen der damalige Untersuchungsrichter Bucarelli gerade vierzehn Tage zuvor herausgefunden hatte, daß sie mit einem T-104- Jäger just zur Flugzeit der unweit vorbeidüsenden DC-9 von Grosseto aus zu einer Abfangaktion aufgestiegen waren. Und obwohl es noch einen weiteren Mitflieger geben mußte (das Flugdokument weist zwei Maschinen aus), verschwand der Beleg plötzlich wieder aus den Akten — es wäre das erste Dokument gewesen, mit dem ein Loch in die Behauptungen der italienischen Luftwaffe zu bohren war, wonach „zur Flugzeit der DC9 Itavia alle Flugzeuge am Boden und alle Raketen in den Hangars“ gewesen waren. Der Flugbeweis wurde erst Ende 1990 durch JournalistInnen von 'il manifesto‘ wieder ausgegraben; der dritte Pilot erinnert sich, wen wundert's nach dem Absturz seiner Kollegen, an nichts mehr.

Die unterdrückte Ramstein-Untersuchung

Kurz nach Bekanntwerden der T- 104-Abfangaktion ergaben taz-Recherchen im Januar 1991, daß es bis heute keine hinreichende Untersuchung des Ramstein-Unglücks gegeben hat, weil der nach dem Nato-Statut dafür zuständige Ermittlungsrichter in Udine sich mit der von Militärs sofort behaupteten Version eines „reinen Pilotenfehlers“ abgefunden hatte — obwohl der verursachende Oberst Nutarelli mit mehr als 4.500 Flugstunden einer der erfahrensten Pilot des italienischen Militärs war und keiner seiner Kameraden an ein Versehen glaubte: der Staatsanwalt stellte das Verfahren mit der Begründung ein, der Mann sei tot und das Gesetz verbiete Verfahren gegen Tote. Eine Ermittlung gegen Unbekannt wegen möglicher Manipulationen an der Maschine — die sowohl die verzweifelten Manöver des Piloten vor dem Zusammenstoß wie gewisse Unregelmäßigkeiten beim Flug nahelegten — kam ihm gar nicht in den Sinn.

Gerade im Lichte der neuesten Erkenntnisse, die der seit Mitte 1990 amtierende Untersuchungsrichter Rosario Priore sowohl aufgrund einer minutiösen Rekonstruktion der Flugbewegungen jener Nacht wie mit Hilfe der nun nahezu vollständig geborgenen DC-9-Reste gesammelt hat, wäre aber den Beobachtungen der Ramstein-Piloten besonderes Gewicht zugekommen — auch wenn sie sich zum Absturzzeitpunkt nicht nahe Ustica befanden.

Priores Ergebnisse legen nämlich den starken Verdacht nahe, daß französische Jäger etwas mit dem Absturz der DC9 zu tun gehabt haben könnten — sie müßten in Korsika gestartet sein und wären dann just an Grosseto vorbeigekommen, wenn sie sich irgendwie an die von Bologna Richtung Palermo gestartete Maschine anhängen wollten. Und daß hinter der DC9 ein weiteres Flugzeug mit etwa der gleichen Geschwindigkeit dahindüste, hat Priore durch Überkreuz-Recherchen erhärten können.

Putschversuch in Libyen

Nun herrschte in jener Nacht auch schon vor dem DC-9-Desaster am Himmel ziemliche Konfusion, suchten Zivil-Lotsen ausweislich der Gesprächsaufzeichnungen schon Minuten vor der Katastrophe ziemlich verzweifelt mit immer neuen Disketten herauszufinden, wer da gerade nach welchem Code herumflog. Auch der dann im Sila-Gebirge abgestürzte MIG-Jäger war geortet worden. Sofort nach dem Verschwinden der DC9 von den Radarschirmen glühten die Telefone zwischen den verschiedenen Leitstationen, wurden neue und immer neue Kontakte hergestellt, suchten einzelne Lotsen Kontakt mit der amerikanischen Botschaft — und nahezu alle Belege dafür verschwanden danach aus den Akten.

Der Grund für die Konfusion an jenem Abend war ein hinreichend belegter Putschversuch gegen Libyens Staatschef Ghaddafi, den Nato-Geheimdienste angezettelt hatten, den aber der philoarabische Teil des italienischen Abschirmdienstes zu hintertreiben suchte: Erklärung dafür, daß einzelne Flugbasen, und darunter wohl die von Grosseto, nichts von alledem wußten und brav ihre Abfangjäger hochschickten, als ein unidentifiziertes Flugzeug vorbeikam. Bezeichnenderweise läßt sich jedoch bis heute kein Dokument auffinden, mit welchem Ergebnis denn die Piloten zurückgekommen waren.

Das weist wiederum auf ein „befreundetes“ Flugobjekt hin, das sie da gesehen hatten — und das könnte in dieser Zone (außer eigenen, italienischen Maschinen und amerikanischen) nur französische Präsenz gewesen sein. Das würde wiederum die Verwirrung des dann aufgehängt geendeten Fluglotsen just nach seiner Stationierung in Frankreich erklären. Vor allem aber waren französische Flugzeuge auch massiv an der geplanten Aktion gegen Ghaddafi mit von der Partie: sie hatten sich den Putschvorbereitungen, wiewohl selbst nicht Nato-Mitglied, gerne angeschlossen, wollten sie doch bei der Gelegenheit das Dutzend an Libyen gelieferte, bereits bezahlte Mirage- Jäger entführen und anderwärts verkaufen.

Untersuchungsrichter Priore, der bei Übernahme des Falles versprochen hatte, keine noch so geringe Spur zu übergehen, hat sich jedenfalls vorgenommen, auch die „Folge“-Ereignisse von Ustica wieder auszukramen. Es steht mithin zu hoffen, daß irgendwann auch noch Licht in den Fall Ramstein kommen wird.