Der Reichstag als »Herz der Republik«

■ Reichstagsgespräch: 1. April Startschuß für städtebaulichen Wettbewerb zum Regierungsviertel/ Reichstag mit Pickelhaube?

Berlin. »Die Ansprüche des Bundestages richten sich auf die Integration des Bundes in die lebendige Stadt.« Der Bund, so Dietmar Kansy, Vorsitzender der Baukommission des Deutschen Bundestages, fühle sich deshalb »mitverantwortlich für die städtebauliche Zukunft der Berliner Mitte«, deren architektonische Gestaltung nicht allein von funktionalen — sprich, regierungsrelevanten —, sondern auch von ästhetischen — sprich, repräsentativen — Entscheidungen geprägt sein müsse. Das Reichstagsgebäude, forderte Kansy, solle in den zu bauenden Ensembles zwischen Spreebogen, ehemaligen Ministergärten und historischer Mitte zum »Herz der Republik« werden. Allein schon der Symbolwert des entkuppelten Wallot-Baus von 1894 rechtfertige den vielgescholtenen finanziellen Aufwand, den ein Umbau verschlingen würde.

Zu den Neuigkeiten bei der zweiten Runde der sogenannten »Reichstagsgespräche« — einer CDU-Propagandaveranstaltung dortselbst mit Alibigenossen (diesmal mußte SPD- Bausenator Nagel herhalten) — zählte die Bekanntgabe des Startschusses für den städtebaulichen Wettbewerb der Parlaments- und Regierungsbauten. Am 1. April (!) 1992, orakelte Kansy auf der Veranstaltung mit dem Thema »Die Gestaltung des innerstädtischen Bereichs — Herausforderung für Berlin«, sollen der städtebauliche Wettbewerb sowie der Architektenwettbewerb zur Modernisierung des Reichstagsgebäudes ausgelobt werden.

Der Kleinkrieg zwischen Berlin und Bonn um die städtebauliche Entwicklung der Regierungs-Mitte indessen ist nicht beigelegt. Während die Bundesbauverwaltung das Wettbewerbsgebiet über den Spreebogen hinaus auf das Gelände der ehemaligen Ministergärten und angrenzende Quartiere von Ost-Berlin ausdehnen will, ist der Senat, so Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, daran interessiert, den Wettbewerbsbereich »eng zu halten« und Standorte, wie etwa für das Kanzleramt, bereits vorzubestimmen. So dürften die ehemaligen Ministergärten und das Gelände der Neuen Reichskanzlei nicht mit geschichtslosen Neu-Ministerien überformt werden. Diese könnten in die »städtebaulich fertige« Mitte« ziehen. Auch für den Zentralen Bereich gelte, daß »Berlin eine polyzentrale Stadt ist«, sagte Hassemer. Neben den kulturellen Bauten, den Finanz- und Wirtschaftsstandorten und den Wohnhäusern sei die Regierung — als primus inter pares — ein Teil der Mitte. Eine Zentralisierung von Regierungsfunktionen hält Hassemer städtebaulich für schädlich.

Unterstützung erhielt Berlins oberster Stadtentwickler von seinem Kollegen Nagel sowie dem Architekten Joseph Paul Kleihues. Während Kleihues sich gegen ein bauliches Regierungs-»Strickmuster« aussprach, dem Reichstag wieder seine Pickelhaube aufsetzen will und sich für eine räumliche Rekonstruktion des Stadtschlosses sowie des Pariser Platzes aussprach, plädierte der Bausenator für den Erhalt der »bürgerlichen Stadtmitte«. Deren »ziviler Charakter« dürfe nicht zugunsten von Regierungsghettos und Hochsicherheitszonen aufgegeben werden. Zugleich, so Nagel, müßten »konstitutive Essentials« wie Bürgerbeteiligung, Mischnutzung und die Nichteinschränkung der »Planungshoheit Berlins« beim Hauptstadtbau sichergestellt werden. Bauliche »Polemiken gegen das Vorhandene«, wie der Historiker Tilmann Buddensieg die Berliner Architekturgeschichte analysierte, lehnte Nagel ab. Rolf R. Lautenschläger