Autonom gegen das „Eine und Ewige Spanien“

Auseinandersetzungen zwischen Zentralgewalt und Provinz haben in Spanien Tradition/ Regionaler Nationalismus ist oft wichtiger als politische Einstellung/ Mit dem Erreichten stiegen in den autonomen Regionen die Forderungen  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Hispaniae, die Spanien, nannten die Römer die Iberische Halbinsel, als sie sie zweihundert Jahre v.u.Z. eroberten. Es war kein einheitliches Gebiet, das ihnen in die Hände fiel, sondern eine Reihe völlig unterschiedlicher Provinzen, jede mit ihrer eigenen Sprache, Kultur und gesellschaftlichen Eigenheit. Zweitausend Jahre später ist der Plural zwar zum Singular geworden, doch sehr homogen stellt sich Spanien auch heute noch nicht dar. Seine Geschichte ist nicht nur durch den Einfall ständig neuer Völkerscharen, sondern auch durch die Konflikte zwischen Provinz und Zentralgewalt gekennzeichnet. Die Verbundenheit mit der Heimatprovinz und ihren Eigenheiten und die Ablehnung des Zentralismus wog in mehreren Regionen selbst in der jüngeren Geschichte schwerer als die Frage des politischen Systems. So unterstützten nicht nur die liberalen Katalanen, sondern auch die konservativen Basken die linksliberale zweite Republik gegen die rechten Putschisten, da die Republik größere Autonomie gewährte. Franco, der dem „Einen und Ewigen Spanien“ wieder zum alten Ruhm verhelfen wollte, vergalt es den beiden Regionen nach seinem Sieg übel: Auf Katalonien und das Baskenland sauste die geballte Repression herab.

Nach dem Tod des Diktators 1975 und dem Übergang Spaniens zu einer Demokratie stellte sich das Problem in alter Frische. Die neue Verfassung, die 1978 verabschiedet wurde, definiert Spanien als „gemeinsames und unteilbares Vaterland“ der Spanier, gesteht jedoch seinen „Nationen und Regionen“ das Recht auf Autonomie zu. In Katalonien und im Baskenland, wo der Nationalismus am stärksten ausgeprägt ist, wurde 1979 ein Autonomiestatut verabschiedet, das den beiden Regionen eine eigene Polizei, ein eigenes Fernsehprogramm und weitgehende Rechte im Bereich Gesundheit, Erziehung, Kultur und Finanzierung zusichert. Es war der Beginn der „Autonomie mit zwei Geschwindigkeiten“. Neben Katalanen und Basken erhielten in den Jahren darauf auch Andalusier und Galicier als Regionen mit traditionellem Zusammengehörigkeitsgefühl autonome Rechte. Die übrigen Provinzen, in denen das Verhältnis zum Zentralstaat traditionell weniger konfliktreich war, wurden zwar ab 1983 auch „Autonome Gemeinschaft“ genannt, verfügen aber über weit weniger regionale Kompetenzen. Die Zentralregierung behielt qua Verfassung die Verfügung über die nationale Verteidigung, das alleinige Recht bezüglich internationaler Beziehungen, Zoll, Währungssystem und Staatsschulden. Die Legislation im Handels-, Straf-, Strafvollzugs- und Arbeitsrecht ist auch für die Autonomien verbindlich. Die autonomen Regierungen können jedoch — je nach Grad der Autonomie — regionale Gesetze erlassen, die nationale Gesetze ausführen. Sie dürfen jedoch nicht mit einer anderen Region fusionieren. Alle nicht explizit an die Region übertragenen Rechte liegen zunächst bei der Zentralregierung und können von dieser eingefordert werden. Dies hat nicht nur eine völlig unterschiedliche rechtliche Situation in den einzelnen Regionen zur Folge — Baskenland und Katalonien verfügen über erheblich mehr Rechte als etwa Extremadura oder La Rioja —, sondern hat über die Jahre hinweg das Erlangen von Autonomie zu einem Objekt des Tauziehens mit der Regierung gemacht. Zumal nach dem fehlgeschlagenen Putsch des Oberstleutnants Tejero haben sich die jeweiligen Regierungen bemüht, das Militär nicht durch allzu weitgehende Autonomiegewährung an die Regionen zu reizen.

Dreizehn Jahre nach der Verabschiedung des Autonomiestatuts in Katalonien und Euskadi ist die Frage des Verhältnisses zwischen Region und Zentralregierung aktueller denn je. Zwar haben in beiden Regionen eigene Polizeitruppen zunehmend die Kontrollfunktionen übernommen, doch sind die staatlichen Sicherheitstruppen dennoch nicht völlig abgezogen worden. Zwar gibt es in beiden Regionen Schulen, in denen in der Regionalsprache unterrichtet wird, doch mit dem Erlangten sind auch die Forderungen gewachsen. So prüft die Regionalregierung in Katalonien einen Gesetzesvorschlag, der Strafen für Händler vorsieht, die mit ihren Kunden nicht katalanisch sprechen — wer hier in den öffentlichen Dienst will, muß dieser Sprache ohnehin mächtig sein. Die Forderung nach Unabhängigkeit wurde vor allem im vergangenen Sommer laut, als die Unabhängigkeitserklärung der baltischen Staaten den Nationalisten Wind in die Segel blies. Seit der Auseinandersetzungen in Jugoslawien sind diese Stimmen allerdings wieder leiser geworden. Auch die Regionen der „langsamen Geschwindigkeit“ wollen inzwischen nicht mehr zurückstehen. Nachdem die zunächst angepeilten fünf Jahre für die minderen autonomen Rechte längst vergangen sind, fordern sie dieselben Rechte wie Katalanen, Basken, Andalusier und Galicier. Im Wege steht einigen von ihnen freilich das Problem mit dem lieben Geld. Die Katalanen, die zu den reichen Provinzen gehören, verlangen einen größeren Anteil am Steuerkuchen, nach dem Motto — was geh'n mich die armen Nachbarn an. In Extremadura hingegen wünscht man sich die größere Autonomie mit regionaler „Solidarität“ verknüpfen zu können — Extremadura gehört zu den ärmsten Regionen. Die Regierung in Madrid optiert für vorsichtige Zugeständnisse: Die Regionalregierungen sollen in Zukunft an den Einnahmen der Mehrwertsteuer direkt beteiligt werden, die finanziellen Zuweisungen wurden vor kurzem erhöht. Doch eine Unabhängigkeitserklärung durch eine Region wird sie nicht zulassen: Da ist schon das Militär vor.