Pfusch hält die Bohrmaschinen auf

Das dänische Tunnelprojekt unter dem Großen Belt wirft alle Pläne und Kalkulationen über den Haufen  ■ Aus Kopenhagen R. Wolff

Im kommenden Jahr sollten ihn eigentlich die ersten Züge durchqueren, den Tunnel unter dem Großen Belt, Herzstück der festen Verbindung zwischen dem dänischen Festlandsteil Jütland und Fünen, der Insel Seeland, auf der die Hauptstadt Kopenhagen liegt. Einen Ersatz für den Pendelverkehr der Fähren hatte man sich mit dem Jahrhundertprojekt erhofft. Doch daraus wird vorerst nichts: Das Jahr 1993 ist schon längst gestrichen; vielleicht 1995, so die Verantwortlichen, spätestens 1996 soll die Landverbindung nun stehen. Neben den zeitlichen Vorgaben wurden auch alle finanziellen Kalkulationen über den Haufen geworfen: Offensichtlich war nicht sorgfältig genug geplant und bei den geologischen Untersuchungen kräftig geschlampt worden. Zu guter Letzt versagten auch noch die eingesetzten Bohrmaschinen. „Es wurde einfach drauflosgebohrt“, wetterten nicht nur die Boulevardzeitungen.

Vor gut einem Jahr fiel der Startschuß für das ehrgeizige Prestigeprojekt. Innerhalb von 18 Monaten, so der Plan, sollten vier riesige Spezialbohrer 16 Kilometer weit in die beiden Tunnelröhren vordringen. Nach einem Jahr konnte zusammengerechnet gerade ein Kilometer fertiggestellt werden. Das beauftragte Bohrkonsortium, die MT-Group, zeigte sich schnell überfordert. Sie hatte zwar mit knapp einer Milliarde Mark das billigste Angebot abgegeben, mußte aber bald eingestehen, daß das Geld nicht reichen werde und forderte einen Nachschlag von 250 Millionen Mark. Die Regierung dachte bei der Vergabe vor allem an das Wohl der heimischen Bauindustrie und ließ teurere und erfahrenere Konkurrenten abblitzen — eine Vergabepraxis, die den Dänen in Brüssel auch noch eine saftige Strafe wegen Verletzung der EG-Konkurrenzregeln einbrachte.

Monatelang lagen die 220 Meter langen Bohrmaschinenungetüme still. Um sie einigermaßen funktionstüchtig zu machen, mußten umfangreiche Umbauten vorgenommen werden. Während zwei der 130 Millionen Mark teuren Maschinen nun wieder in Einsatz gehen sollen, ähneln die beiden anderen eher verrosteten Schrotthaufen.

Geologische Gutachten in den Wind geschlagen

Mitte Oktober brach dann am Tunnelende auf der Ostseeinsel Sprogöp Wasser ein — ein Unfall, den alle Fachleute zuvor mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen hatten. Die geologischen Verhältnisse unter dem Meeresboden seien sicher; zudem würden die wasserdichten Schleusen Arbeiter und Maschinen vor Wassereinbrüchen schützen, so die Expertencrew. Nach dem Fiasko analysierte die staatliche Arbeitsschutzbehörde, die Sicherheitsvorschriften seien „auf die eine oder andere Weise“ verletzt worden. „Amateurhaft, unprofessionell und mit Pfusch durchsetzt“, lautete das weniger diplomatische Urteil des Geologen Niels Höjerslev über die Bauarbeiten. Der Kopenhagener Forscher warnte schon vor Beginn der Bohrungen vor den Unberechenbarkeiten des Meeresbodens bei der Insel Sprogö. Wenn die im Gestein eingeschlossenen und mit unter hohem Druck stehendem Wasser gefüllten Torfmoorgebiete angebohrt würden, so Höjerslev, sei es, wie wenn man in einen aufgeblasenen Ballon steche.

Man habe die Sicherheit jetzt besser im Griff, erklärte die Baufirma nach der Panne. Als zusätzliche Sicherheitsvorkehrung hatte sie eine zeitweise Auffüllung des Meeresbodens durchgesetzt. Gegen den heftigen Widerstand von Umweltschützern und Fischern genehmigte die Regierung im Eilverfahren eine 100 Meter breite, zunächst 200, später 800 Meter lange und bis zu zehn Meter hohe Auffüllung des Meeresbodens über der Tunnelröhre. Die künstliche Verlandung war in keinem Genehmigungsverfahren vorgesehen. Sie sei nach dänischem Recht ungesetzlich, argumentieren die Gegner, und verstoße zudem gegen die EG-Umweltrichtlinien, da nie ein öffentliches Anhörungsverfahren stattfand. Die Verfüllung des ökologisch wertvollsten Meeruferstrichs Dänemarks gefährde auch einen großen Teil des Dorschbestands in der Ostsee. Die Lehm- und Tonauswaschungen werden nicht nur die Meeresfauna beeinträchtigen, sie können auch ein Fischsterben auslösen. Die dänische Fischereivereinigung hat deshalb schon vorweg Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe angekündigt. Die dänische Regierung ließ sich von den Protesten nicht beeindrucken: Die Aufschüttungsarbeiten laufen — mitten in der Laichzeit der Dorsche. Die Naturschutzorganisationen haben nun die EG-Kommission angerufen.

Die von den Bautrupps an den Tag gelegte Eile erscheint ohnehin unsinnig: Die unter dem Wassereinbruch verrosteten Bohrdinosaurier müssen erst wieder flottgemacht werden; daß sie in diesem Jahr wieder in Betrieb genommen werden können, glaubt niemand so richtig. Offensichtlich sollen Fakten gesetzt werden, bevor sich der Widerstand richtig organisiert.

Die Verzögerung beim Tunnelbau — mittlerweile liegt man 20 Monate hinter dem Zeitplan zurück — torpediert auch die verkehrspolitischen Intentionen, die zu dem Baubeschluß geführt haben. Eine Parlamentsmehrheit für das Projekt war 1985 nur zusammengekommen, weil die Regierung der Eisenbahn drei Jahre Vorsprung zugesagt hatte. Über die 18 Kilometer breite Meerenge soll paralell zum Tunnel eine Hochbrücke für den Kraftfahrzeugverkehr gespannt werden. Wer nicht auf seinen eigenen fahrbaren Untersatz verzichten wollte, sollte noch einige Jahre die langsameren Fähren benutzen müssen. Damit verband sich die Hoffnung, einen Teil des Personenverkehrs auf die Schiene zu ziehen und den Fährverkehr im Hinblick auf die Arbeitsplätze nach und nach abwickeln zu können — eine Rechnung, die nun nicht aufgeht. Eine „absichtliche“ Verzögerung beim Bau der Autobrücke kommt für die Regierung nicht in Frage. Der Brückenbau wird von der Privatwirtschaft finanziert; die Baukosten sollen durch Benutzungsgebühren getilgt werden, die so schnell wie möglich fließen sollen. Jeder Monat Verspätung schlägt mit Kosten von 13 Milliarden Mark zu Buche.

Klage in Den Haag

Nicht ausgeschlossen ist, daß alles noch ganz anders kommt. Die finnische Regierung hat das skandinavische Nachbarland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagt. Die Begründung: Der Brückenbau behindere den freien Schiffsverkehr und müsse deshalb verboten werden. Auf finnischen Werften gebaute Bohrinseln könnten nicht mehr aus der Ostsee herausbugsiert werden, da die Durchfahrtshöhe der Hochbrücke mit 65 Metern nicht ausreichend sei. Die ehemalige Sowjetunion hatte sich der Klage angeschlossen. Die Richter wollen Mitte des Jahres entscheiden.