Havarie & aufgehängte Piraten

■ Die heimliche Leidenschaft des ehemaligen CDU-Abgeordneten P.-M. Pawlik.

Wenn Peter-Michael Pawlik (46) seinen Lieblingsordner aufschlägt, bläst ihm der scharfe Wind des indischen Ozeans entgegen, Piratensäbel rasseln, Kononendonner dröhnt aus der Karibik bis in seine Stube nach Strom. Hier nämlich hat der ehemalige CDU-Bürgerschaftsabgeordnete und Jurist Schiffsschicksale gesammelt. Den gebürtigen Bremen Norder treibt alles um, was zwischen 1770 und 1893 auf Bremer Werften an Holzsegelschiffen gebaut und was aus ihnen geworden ist.

„Die wenigsten sind abgewrackt“, erklärt der Experte für Havarien, Brandschatzungen und sonstige Schiffsuntergänge. Und wenn er auch nur ein Zipfelchen Indiz für die Spur eines dieser Schiffe findet, ist es um seine Ruhe geschehen.

Was beispielsweise geschah der Bark Comet, die 1834 bei der Bosse-Werft gebaut wurde? Da wurde im Jahre 1849 eine Ladung des Großherzoglich Oldenburgischen Landgerichtes zu Delmenhorst öffentlich. Darin war ein gewisser Schiffscapitain Claus Hinrich Rabe aus Deichshausen aufgefordert, „sich längstens bis zum 18. Juni 1850 bei dem unterzeichneten Landgerichte persönlich einzufinden oder wenigstens von seinem Leben und Aufenthalte Nachricht zu geben, unter der Verwarnung, daß er sonst für todt erklärt und sein Vermögen den in Folge seines Todes dazu am nächsten Berechtigten verabfolgt“ wird.

Bereits seit fünf Jahren vermißt die Frau des Gesuchten, die Ahlke Margarethe Sandersfeld aus Weserdeich, ihren Claus Hinrich. Weil sie jetzt wieder heiraten will, muß die Tod-Erklärung ihres Mannes vom Gericht ausgeschrieben werden. Die Ladung wird öffentlich und bleibt so das einzige Dokument, daß etwas über das Schicksal der Comet aussagen kann: Danach trat Capitain Claus Hinrich „im Jahre 1844 eine Reise nach Newport in England an und fuhr von dort weiter nach Westindien und soll auf der Rückfahrt mit dem gedachten Schiffe nebst der ganzen Mannschaft desselben untergegangen und umgekommen sein.“

Etwa 1.200 bis 1.300 Schiffe, so schätzt Pawlik, sind in den rund 100 Jahren auf 20 bis 30 Bremer Werften gebaut worden, Jedes hat seine Geschichte und Pawlik schreibt sie alle auf: Wie die Johanna 1821 vor Havanna von Korsaren geentert wurde und der Kapitän besonders ungehalten über den Überfall gewesen sei, weil nicht nur seine Mannschaft mißhandelt worden, sondern auch sein persönlicher Vorrat an Zigarren in Piratenhände gefallen sein soll.

Wie durch das Kriegsschiff Hertha vor China ein Seeräuberschiff aufgerieben, die Piraten gefangen genommen und kurzerhand aufgehängt wurden nach deutschen Seerecht: Denn eigentlich hätten sie in Hongkong den Engländern ausgeliefert werden müssen. Die Hertha aber nahm im Hfafen nur den deutschen Botschafter an Bord, segelte hinaus aufs Meer und ließ den Herrn Botschafter das Urteil auf hoher See sprechen.

Und wie die Libelle 1866 vor China zerschellte und der Kapitän einen richtigen Schatz vergrub, der aber gefunden werden konnte. Wie die Bark Melchers langsam aber sicher vor China voller Wasser lief und schließlich sank, und wie die Mannschaft der Courier 1863 ihren Kapitän verklagte, weil der auf dem Rückweg von Afrika die Lebensmittel knapp gehalten hatte: Alles Geschichten für Pawlik.

Jetzt plant er seinen vielleicht größten Coup. Im Jahre 1868 wurden 380 von 450 Passagieren des Auswandererseglers Lessing nach einer Strandung gerettet und auf den Shetland-Inseln aufgenommen. Pawlik sucht jetzt die Dankesurkunde, die der Bremer Senat danach auf die Shetlands gebracht und die „von einem unserer besten Kalligraühen höchst kunstvoll aufgefertigt“ worden sein soll. mad

Im nächsten Jahr sollen Pawliks Geschichten unter dem Titel „Von der Weser in die weite Welt“ in der Reihe der Veröffentlichungen des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven erscheinen