Dann können's auch die Weiber machen

■ Annegret Ritzel, bald erste deutsche Theaterchefin, über Frauenkarrieren und ihren „Onkel Wanja“ / Heute abend Premiere

hierhin die Frau

„Hier saß ich damals schon mal...“

Soweit wie sie ist noch keine gekommen im deutschen Theaterbetrieb; abgesehen von den paar Frauen, die sich als Wanderregisseurinnen durchgesetzt haben. Annegret Ritzel dagegen leitet als erste ein eigenes Haus. Bislang war sie Oberspielleiterin in Wiesbaden (und damit dem Intendanten unterstellt); demnächst aber gebietet sie unumschränkt über ihre Sparte: als Schauspieldirektorin. Der taz erzählte sie, warum ihr Aufstieg einzigartig blieb — und, nebenbei, warum Tschechow der Größte ist. Seinen „Onkel Wanja“ bringt Annegret Ritzel heute abend auf die Bühne des Schauspielhauses.

taz: Die erste Runde Ihrer Karriere haben Sie heil überstanden?

Annegret Ritzel: Jaja, jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Aber ich hab angefangen zu einer Zeit, wo eine Frau in der Regie undenkbar war. Damals sagte mir August Everding: lassen Sie's, das gibts nicht! Das war '64, ich hospitierte da an den Münchner Kammerspielen. Entsprechend schrecklich war es, da reinzukommen: eine lange Leidensgeschichte. Nach dem Abitur wußte ich, was ich wollte — und dann hab ich 15 Jahre gebraucht, es zu erreichen — und natürlich auf Umwegen: ich hab studiert, war Sprecherzieherin, hab gespielt, war Schauspiellehrerin; hab also alles abgegrast, das Theater eingekreist, bis ich meine erste Regie kriegte.

Was? Wo?

Das war eine Oper. In Berlin. Da machte der Sohn vom Fischer- Dieskau eine freie Operngruppe. Es wurde sehr witzig und erfolgreich, und ich dachte: hach, jetzt geht's. Es ging überhaupt nicht, trotz guter Presse und Gastspiel in Helsinki undsoweiter. Ich hab auch nie eine Regieassistenz gemacht — was sonst der ganz normale Einstieg ist. Ich kriegte einfach keine. Stattdessen hat man mich oft sehr eklig und demütigend behandelt, wenn ich mich vorstellte. Hier im Dramaturgenbüro, wo wir uns unterhalten, hab ich damals auch mal gesessen.

Und jetzt?

Naja, nachdem ich erstmal im Betrieb drin war, lief's tadellos. Da hat mir dann eher geholfen, daß ich eine Frau bin. Wunderbare Dinge fallen mir da ein: bis hin zur Technik, die mir morgens zu Füßen legt, was sie wieder Schönes für mich, die gnädige Frau, gebaut hat.

Wissen Sie von andern Frauen, die es ähnlich weit gebracht haben?

Hm. Die Andrea Breth; in Mainz jetzt die Oberspielleiterin Badura. Aber sonst...Ich glaube, Schauspieldirektorin bin ich noch die einzige. Ich find das ja insofern ganz toll, als ich geschafft habe...

...die Fluten zu teilen?

Genau.

Daß es ausgerechnet im Theater am schwersten ist, hat das spezielle Theaterursachen?

Nun ja, Regie und Intendanz sind die letzten autoritären Berufe.

Aber all die andern aufgeklärten Monarchien tun sich nicht so schwer mit Königinnen.

Das wird aber auch anders. Ich hab in Wiesbaden viel mehr Bewerbungen von Frauen als von Männern, und großteils auch qualifiziertere. Manchmal denk ich auch, daß die Männer einfach ihr Interesse verlieren an einem Theater, mit dem man eh nichts mehr bewirkt. Dann können's auch die Weiber machen.

Sagt man Ihnen eine „weibliche“ Art der Regie nach?

Nein. Es heißt immer nur, daß ich mit leichter Hand inszeniere. Und daß ich mit den Männerrollen auf der Bühne mehr Mitleid habe, daß ich mit Frauenrollen viel radikaler umgehe — vielleicht, da ich mich selber kenne.

Jetzt machen Sie einen Tschechow. Warum?

Ach, Tschechow. Vor dem fall ich auf die Knie. Das beste auf dem Theater, abgesehen von Mozart und Shakespeare. Sein „Onkel Wanja“ schwebte mir vor als ein Bild aus Traum und Alptraum: wir machen da eine sehnsüchtig schöne Bühne, und darauf ereignet sich ein ganz unfaßlicher Schrecken. Da kommt ein abgetakelter Schriftsteller mit seiner jungen Frau, gar nichts besonderes an ihr, auf ein Landgut gerauscht; und als sie wieder abreisen, ist alles durcheinander und noch öder als vorher.

Sie verlassen sich sehr auf die Sprache, dachte ich mir neulich auf der Probe.

Ja. Ich wollte eigentlich vier Wochen lang auf den Proben sitzen und bloß hören. Dann wurde ich krank, zum ersten Mal in meiner Karriere, und meine Mutter starb; und dann mußten wir doch schneller raus damit. Ja, die Sprache. Andere bilden mit ihrer Sprache das Leben nach. Tschechow dagegen schreibt sozusagen vor. Aus seiner Sprache entsteht alles auf der Bühne: die Beziehungen, die Gefühle, die ganzen starken und umso empfindlicheren Stücke. Da kommt es auf jede Kleinigkeit an. Für einen Regisseur ist das fast ein bißchen frustrierend. Man kann ja, sag ich mal, kaum was machen.

Deshalb wird Tschechow auch, denk ich mir, von Konzeptregisseuren kaum verwurstet.

Ja.

Kein Thema für Sie?

Ich hab nie aus irgendwelchen Botschaften ein Regietheater konstruiert. Die einzige Mitteilung, die ich zu machen habe, ist: Ich bin begabt, diesen Beruf auszuüben. Und damit, wenn Sie so wollen, Gott zu loben.

Also, grad im Falle Tschechows: produktive Demut?

Ja. Was an ungeheurer Anstrengung nötig ist, bis alles leicht wie von selber läuft, das sieht man hinterher nicht. Fragen: Manfred Dworschak

Premiere: heute um 20 Uhr

im Schauspielhaus