: EntArt?
■ Ausstellung mit „entarteter“ Skulptur / Auch nationalsozialistische und figurative Bildhauer verfemt
Zum Beispiel Bernhard Hoetger. Monumentalist (Niedersachsenstein in Worpswede), „nordischer“ Mythologe (Böttcherstraße) mit „bodenständigem“ Ideal, seit 1934 NSDAP- Mitglied, seine Skulpturen sammelte u.a. Gauleiter und „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher. Andererseits Hoetger, einer der wichtigsten frühen modernen Bildhauer Deutschlands, der zu den Verfemten der Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ (1937) gehörte. Ein scheinbarer Widerspruch: War Hoetger nun Täter oder Opfer? Die Frage bewegte Nimweger Kunsthistoriker unter Leitung von Prof.Christian Tümpel in einer Untersuchung über Hoetger, in der es bald um den Begriff „entartet“ ging; er ist umlagert von Vorurteilen, etwa dem, daß sog. „Entartete“ automatisch Systemgegner gewesen seien, oder, daß die Kunstform der Diktatur traditionell-figurativ sei — siehe „Staatsbildhauer“ Arno Breker. Eine Revision der Vorstellung über „entartete Kunst“ schien nötig; Ergebnis ist eine große Ausstellung, die jetzt das Gerhard Marcks-Haus erstmals in Deutschland zeigt: „Deutsche Bildhauer, 1900-1945, entartet.“
Schon der Begriff „entartet“ ist keine Erfindung Hitlers. Wenn er sich in „Mein Kampf“ über die „bildhauernden oder bauenden Scharlatans“ ausläßt, deren „künstlerisches Gestammel“ der Beweis für den Verfall der Nation sei, steht er in der Tradition einer Kulturkritik des 19. Jahrhunderts an der „degenerierten“ Industriegesellschaft. Hitler war es dann, der die „Degeneration“ rassistisch deutete.
Vier Jahre nach der „Machtergreifung“ begann auf Goebbels' Betreiben die „Säuberung“ der Museen und Galerien. Das Dilemma war von vornherein: Was hatte als „entartet“ zu gelten? Der weitverbreiteten Ansicht, daß Kriterien wie „Deformationen“ oder Abstraktes erfüllt sein mußten, treten die Ausstellungsmacher mit etlichen Beispielen entgegen. Gerhard Marcks etwa mit seiner unschuldigen, traditionellen Darstellungsweise erhielt Ausstellungsverbot. Georg Kolbe, mit dessen traditionell-figürlichen Skulpturen sich das Dritte Reich gern schmückte, verzeichnete eine Beschlagnahme (“Stürzender“, 1924). Arie Hartog weist im (hervorragenden) Katalog darauf hin, daß zwar mit viel Eifer, aber dafür umso wirreren Kriterien ausgesondert wurde: So geriet ausgerechnet eine gut gemeinte Aufzählung der Verfemten der Münchener Ausstellung in der Deutschen Allgemeinen Zeitung landauf landab zur schwarzen Liste.
Die Ausstellung zeigt Bildhauer, deren Arbeiten zumindest zeitweise als „entartet“ galten, in ihrer figurativen (oder abstrakten) Tradition und in chronologischer Ordnung. 86 repräsentative Exponate sind versammelt, von Lehmbruck, Barlach, Hoetger, Kollwitz, Marcks, Schlemmer,
Barlachs "Geistkämpfer“: in Kiel vom Sockel gestürzt
Karl Knappe, Rudolf Belling, Milly Steger, Edwin Scharff u.a.. Barlachs „Geisteskämpfer“ ist darunter (1937 von der Kieler Universitätskirche entfernt); Hoetgers „Volkshausfiguren“, die 1933 von der Fassade des Bremer Volkshauses entfernt wurden; Barlachs „Leichenhexe“ (Hockende Alte, 1933); der „Dreiklang“. u sehen ist eine abstrakte Bronze-Skulptur Rudolf Bellings von 1919, die als erste abstrakte deutsche Plastik gilt und in München gezeigt wurde (“Entartete Kunst“); zum Vergleich Bellings „Der Boxer Schmeling“, der gleichzeitig, ebenfalls 1937 auf der Jubelausstellung Große Deutsche Kunstausstellung gezeigt wurde.
Die Ausstellung hat das erklärte Ziel, die gemeinsamen kunsthistorischen Wurzeln der Verfemten und der bejubelten Bildhauer des Dritten Reichs aufzudecken, denen z.B. die Begeisterung für die französische Avantgarde gemein war. Der Makel der „Nazikunst“ hing in der Nachkriegszeit allgemein der figurativen Skulptur an — jedenfalls aus westdeutscher Sicht. Zur Rehabilitierung dieser Kunst trug erst recht nicht bei, daß die Figurativen in Ostdeutschland wieder in den Rang der Staatskunst kamen. Gerade an diesem Punkt halten die Ausstellungsmacher nach der deutschen Vereinigung eine Aufarbeitung der gemeinsamen Gattungsgeschichte für geboten. Burkhard Straßmann
Der Katalog, der einen umfassenden Texteil besitzt (u.a. zu Hoetger, zur Plastik im Dritten Reich, zum Erbe der „Entarteten“ in der DDR plus 40 Bildhauerbiografien), kostet 38 Mark. Die Ausstellung läuft bis zum 29.März, ein Videofilm erläutert die Thematik. Donnerstags um 17 Uhr bietet das Gerhard Marcks-Haus Führungen und Diskussionen mit den niederländischen Ausstellungsmachern an.
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