Kein Mahnmal für Bolle

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (8): Der Schuttplatz muß bebaut werden

Mit wieviel Freude, ja mit welch' klammheimlichem Enthusiasmus ist nicht der Anschlag, inklusive Plünderung und Niederbrennung, auf den »Bolle-Supermarkt« am Görlitzer U-Bahnhof am 1. Mai 1987 begrüßt worden. Da standen die »Anti-Berliner« (Diepgen) neben den »lieben Berlinern« (Diepgen) in ausgelassener Heiterkeit. »Feuriger Festauftakt« — frohlockte damals die taz — »Nicht lichterloh entflammt, sondern qualmend und stinkend vor sich hinschwelend, findet der Bolle- Markt sein Ende«.

Immerhin, die Lust an Zerstörtem scheint in Berlin ausgeprägt. Ruinen quasi als Stadtsymbole bilden die Gedächtniskirche und der Anhalter Bahnhof. Auch die Bolle-Ruine gleicht bis dato einem Mahnmal für urbane Nekropsie. Ausgebrannt, ein paar Steinreste, der Originalfußboden und mit Graffities verzierte Mauern geben den Rest. »Auf symbolische Weise versöhnt der Anblick der Auflösung mit der anmaßenden Dingwelt. In der Ruine finden wir beruhigende Versicherung, daß die scheinbar ewige Dingwelt sterblich ist«, philosophieren Gert und Gundel Mattenklott.

Doch das Ruinöse, das die Kreuzberger Krawalle zur 750-Jahr-Geburtstagsfeier Berlins hervorbrannten, ist bei Bolle zu keiner versöhnlichen Chiffre einstmals anmaßender Dingwelten am Görlitzer U-Bahnhof geworden. Bolle gleicht einem sinnlosen Schuttplatz, einer Ruine der Ruine. Sie zerfleddert die hier eng gebaute Stadt zwischen Wiener- und Manteuffelstraße, statt ihr Luft zu geben. Das abgebrannte Bolle-Grundstück ist ein fehlender Zahn mehr im Stadtgesicht, dem auf der gegenüberliegenden Seite, zwischen Oranien-, Skalitzer- und Manteuffelstraße fast völlig das Häusergebiß fehlt. Auch Versuche mit historisierenden Parks helfen da nicht weiter.

Sicher, der Bolle-Bau war nicht schön. Er hätte abgerissen gehört. Sein niedriges Eckdasein paßte nicht ins Stadtbild neben dem hochschießenden Hotel »White Horse«. Er war eine Notlösung — Zeichen des kulturellen Niedergangs eines ganzen Bezirks, der lange Zeit durch Entmietung gekennzeichnet war. Früher spielte hier ein Kino — städtisch-technischer Reflex auf die Trasse der Hochbahn Linie 1. Dann klotzte der Supermarkt — die Konkurrenz zum türkischen Klein- und Gemüsehändler.

Der Ruinenplatz muß wieder bebaut werden — wird wieder bebaut werden. Im Zuge der Sanierung und Erweiterung der rückwärtigen Hunsrückschule erbrachte ein Architektenwettbewerb 1990 einen Entwurf, der vorsieht, daß die Kante mit einem sechsgeschossigen modernen Gewerbebau wieder geschlossen wird; rekonstruktionsmäßig, etwas bieder. Dieser paßt sich maßstäblich dem alten Hotelkomplex an. Er reagiert zugleich auf einen geplanten schmalen Bau, der die graue Längsseite der Schulturnhalle aus den siebziger Jahren entlang der Manteuffelstraße verstecken soll. Ein Stadtplatz mit der alten Platane könnte entstehen, fände sich noch eine Lösung für die angrenzende Turnhallen-Lücke. Sonst bleibt der Platz ruinös — ein Bild der Berliner Abrißjahre und sogenannten Flächensanierung. Rolf R. Lautenschläger