Zwei zu null für die Bärte

■ Procol Harum in Huxley's Neuer Welt

Gegen Abend ist nur wenig Betrieb in der Einkaufspassage der Neuen Welt. Hinter der automatischen Tür, die zur Hasenheide führt, riecht es nach den Geschäften des Tages: nach Fettgebackenem und Urin. Die wenigen Menschen, die jetzt noch durch die Halle wandeln, sind auf dem Weg nach oben — den Tönen hinterher. Aus dem ersten Stock über dem Baumarkt sind die Stimmen alberner Sicherheitskräfte und die Hit-Fetzen der sechziger Jahre zu hören. »Mein Gott, die spielen ja wirklich nur nach.« Zwei Zwanzigscheine Eintritt noch — für jedes Lebensjahr eine Mark — und schon sind wir drin.

Obwohl das Konzert eigentlich erst jetzt beginnen sollte, haben Carry und Ron, ein Country-Duo aus Süddeutschland, ihr Vorprogramm bereits um 20 Uhr zur Hälfte abgespult. Der mit 600 Stapelsitzen bestuhlte Saal ist voll besetzt. Gassenhauer zur Gitarre wie The Boxer und Nights in white Satin quittiert das Publikum ohne Ungeduld mit freundlichem Applaus. 2 Mark für einen Plastikbecher Wasser, ein Bier für das Doppelte. Preise wie diese tun ihr übriges, um die zahlreich anwesenden Mittvierziger mild zu stimmen. Aus der Phase, Vorgruppen von der Bühne zu buhen, sind die Anwesenden offenkundig heraus.

Pünktlich um 21 Uhr betreten Gary Brooker und seine Band die Bühne. Procol Harum lassen sich unendlich viel Zeit. Die eigens für die Tournee dazugekaufte Rhythmusgruppe kreiert in Huxley's neuer Welt brav einen Bluesrock-Groove, in den die Gründungsmitglieder an Orgel und Piano hineinspielen. Robin Trower, Gitarrist der Urbesetzung und bei der Wiedervereinigung nach 15 Jahren wieder mit von der Partie, hat es vorgezogen, selbst nicht mit auf die Tournee zu gehen. Gary Brooker, der verhinderte Blues-Sänger und Songschreiber der Gruppe, jammert in den Klangteppich, während Mathew Fisher am Keyboard die elektronischen Tonerzeuger zwischen Beat und Psychedelic oszillieren läßt.

Im Zeitlupentempo seziert die Band das, was in den siebziger Jahren als melodiöser Rock bekannt wurde, auf minimalistisches Etüdenformat: Rhythmus, Strophe, Gesang und Solo — und dann das Ganze von vorn. Refrains verlieren sich im sparsamen Gezwischter der Instrumente, und keine der eingänglichen Melodien, die die Engländer spielen, bleibt wirklich haften.

Nach 80 Minuten, gut einem Dutzend alter und neuer Stücke und stehenden Ovationen intoniert Gary Brooker schließlich — es war wohl unvermeidlich — das Lied, mit dem Procol Harum ihr 1967 debütierten: A whiter shade of pale — gefühlvoll und noch langsamer, als der Song ohnehin ist. Um 23 Uhr stehe ich auf dem U-Bahnhof und versuche vergeblich, mich an mehr als den Refrain zu erinnern. Procol Harum sollten Nationalhymnen schreiben. Stefan Gerhard