Die Emanzipationen der Eva Besnyö

■ Immer auf der Suche nach Dokumentierbarem — Arbeiten der ungarischen Fotografin im Verborgenen Museum

Ein dichter dunkler Haarschopf über dem konzentrierten Blick durch den Brillantsucher. Die Hände — noch in Gummihandschuhen, dem unerläßlichen Utensil für die Dunkelkammerarbeit — halten die Boxkamera. Ein hohes, schmales Atelierfenster läßt Tageslicht auf Arbeitssituation und Gesicht der Fotografin fluten. Die Neonröhre über dem Spiegelarrangement bleibt ungenutzt — so präsentiert sich die ungarische Fotografin Eva Besnyö auf einem Selbstporträt von 1931. Zwischen den Polen von natürlichem und künstlichem Licht, von deren Quellen eingerahmt Besnyö sich sinnfällig darstellt, bewegen sich auch ihre Arbeiten, die in einer Werkschau des Verborgenen Museums gezeigt werden.

Die Schwarzweißaufnahmen, dem von Besnyö bevorzugten Farbspektrum, führen den Betrachter dabei durch eine bereits gut sechzig Jahre währende Fotografinnenlaufbahn, die ihren Anfang in der Aufbruchstimmung der späten zwanziger Jahre fand und durch die Zeitgefilde und Genres noch bis heute einem fotografischen Erzählen von Situationen oder dem Auffangen von flüchtigen Impressionen verhaftet ist. Die Technik war Besnyö nie Anathema, auch wenn sich ihre fotografischen Grundsätze eher durch praktisches Probieren oder Intuition denn durch die Lehre festigten. Ihre Ausbildung bot ihr dazu reichlich Gelegenheit: Eine emanzipierte Erziehung im jüdisch-liberalen Elternhaus in Budapest stellte der Gymnasiastin ein Studium frei. Akademischen Graden zog Besnyö eine Lehre in den visuellen Gefilden der Fotografie vor. Im Atelier des bekannten József Pécsi wurde sie mit den Regeln der Porträt-, Reklame- und Architekturfotografie vertraut. 1930 folgte sie dem eigenen Drang und dem Ruf solcher Künstlerfreunde wie György Kepes nach Berlin, das auch zum Ende der stürmischen Dekade noch eine magnetische Wirkung auf junge Talente und Künstler ausübte. Bei dem Pressefotografen Dr. Peter Weller verdiente sich Besnyö ihre ersten professionellen Meriten. Sie fertigte Fotoreportagen an, die Weller, wie damals üblich, unter eigenem Namen erfolgreich verkaufte. Weller ließ sie dafür in seinem Studio gewähren. Diese Phase wurde für Besnyö eine Zeit des befreiten Experimentierens.

Der erste Teil der Ausstellung ist jenen Arbeiten gewidmet: Materialstudien und Sachaufnahmen — denen im Fotografie-Unterricht von Walter Peterhans am Bauhaus nicht unähnlich; Menschen bei der Arbeit — eines ihrer damaligen Lieblingsthemen; Aufnahmen von Kindern — die eine köstliche Komplizenschaft zwischen der Fotografin und ihren »Objekten« verraten; ein Porträt des Freundes Kepes — in dem Intimität und die Strenge einer geometrisch gebauten Komposition verschmelzen; Fotos der Stadt Berlin — ganz im Atem des Neuen Sehens entstanden, werden hier urbane Formen wie Bordsteinkanten oder das Rund einer Stadiontribüne zu dynamisierenden und raumschwingenden Elementen innerhalb der Kompositionen.

Wie im Selbstporträt reflektiert, sind die Aufnahmen bei natürlichem Licht im Freien bei weitem in der Überzahl. Die Reportage vor Tage wird schon damals zu Besnyös eigentlichem Genre. Bei einem kritisch beobachtenden Fotografen ist im Bildjournalismus viel eher politischer Dissens impliziert, als bei Kollegen, die sich beispielsweise einer Auftrags- und Reklamefotografie verschrieben haben. Erinnert sei hier an die gleichaltrigen »ringl+pit« (d.s. Grete Stern und Ellen Auerbach), die sich zur selben Zeit in Berlin selbständig machten und in ihren Werbefotos einen nüchtern-ironischen Stil entwickelten.

Besnyö gab ihr Atelier in der Nachodstraße, das unter anderem die linke Agentur »Neofot« belieferte, nach nur einjährigem Bestehen aufgrund der anwachsenden Machtzunahme der Nationalsozialisten auf. Bereits im Herbst 1932 siedelte sie in die Niederlande über. Die relativ kurze Periode in Berlin bezeichnet sie heute dennoch als prägend für ihren Beruf und ihr politisches Denken: Impulse durch das nahe Bauhaus und die künstlerische Avantgarde der Metropole wirkten anregend auf ihre Arbeit. Intensive Diskussionen mit dem engagierten György Kepes, der Mitarbeiter in Moholy-Nagys Studio war, und der Besuch der Marxistischen Arbeiterschule formten ihr gesellschaftliches Bewußtsein.

Dieser Schritt zur Verbindung ihres Berufes als Fotografin und politisch aktivem Handeln ist sicher das erstaunlichste Moment in Besnyös Biographie. Gleichzeitig aber auch der Punkt, der sie am entschiedensten von rein ästhetisch denkenden Frauen ihres Metiers wie den erwähnten »ringl+pit« oder einer Aenne Biermann entfernt. Um so bedauerlicher ist deshalb die Auslassung dieses wichtigen Aspektes ihrer Arbeit in den dreißiger Jahren: In den Niederlanden gelang es Besnyö, durch Kontakte zu Künstlerzirkeln und dank einer viel beachteten Ausstellung ihrer Fotografien in der Galerie »Van Lier« in Amsterdam sich rasch beruflich zu konsolidieren. Die Architektur- und die Porträtfotografie wurden ihre vornehmlichen Auftragsgebiete. Ihre politische Anteilnahme konnte sie durch die Mitgliedschaft in der niederländischen Arbeiterfotografenbewegung und im Fotografieren für antifaschistische Hilfsorganisationen fortführen. Daß jenes Engagement der Fotografin nicht mit Beispielen zitiert wird, ist sicher ein Manko dieser Werkschau. Ein ganzes Jahrzehnt reduziert sich so in seiner Präsentation auf Folkloristisch- Harmloses — verkörpert durch den kleinen Zigeunerjungen, der, chaplinesk einen riesigen Kontrabaß schleppend, dem Betrachter/dem Jahrzehnt/der politischen Situation den Rücken zukehrt — und damit offensichtlich der Biographie Besnyös widerspricht. Der Fotografin zufolge ist dies übrigens ihre am häufigsten publizierte Aufnahme (weshalb sie auch bei uns nicht zu sehen ist!) und dabei symptomatisch für die Reduktion eines fotografischen Werkes auf hübsche Bilder.

Durch den Zweiten Weltkrieg wurde Eva Besnyös berufliche und ökonomische Lage prekär. Als Jüdin mußte sie zudem zwischen 1942 und 1944 untertauchen. Sie arbeitete in einer Gruppe des holländischen Widerstands, die falsche Ausweis- und Kreditpapiere für Verfolgte herstellte. Nach dem Krieg begann für Besnyö der übliche Drahtseilakt all jener Frauen, die Kinder, Familie und den Beruf in einer Gesellschaft verbinden möchten, die dieser Kombination nicht unbedingt positiv gegenübersteht. Sie nahm mit ihren Arbeiten an Ausstellungen teil, unter anderem an der legendären The Family of Man (1952), führte im staatlichen Auftrag Bildreportagen aus und arbeitete für die Industrie. Bemerkenswert ist dann ab 1970 ihr aktiver Einsatz als Mitglied und Dokumentaristin der holländischen Frauenbewegung »Dolle Mina«, der sie über viele Jahre zugehörte. Bei ihrem anfänglichen Zögern, sich der Gruppe anzuschließen, da sie mit 60 zu alt sei, konterte der Filmemacher Joris Ivens, er sei mit 75 in den Schützengräben Vietnams gewesen. Sie solle es also tun — eine der Befreiungen Eva Besnyös, in der Ausstellung mit zahlreichen Reportagefotos illustriert. Besnyö gehört sicher nicht zu den wichtigen Wegbereitern des Neuen Sehens, der großen visuellen Umwälzungen, die in den zwanziger Jahren stattgefunden haben. Ihr frühes Oeuvre hat eher epigonale Bedeutung, schließt sich den Arbeiten jener Fotografen an, die die visionären Mittel eines Moholy- Nagy durch tägliche Anschauung verinnerlicht hatten und im eigenen Werk solide und fast automatisch deklinieren konnten. Die Aufnahme der Zeeländerinnen in ihren alten Trachten wird in diesem Kontext zu einer Absurdität in der Anwendung der Vogelperspektive auf eine traditionelle Themenstellung. Interessanter ist allemal Besnyös Biographie durch ihre politische Ausprägung und im Vergleich mit anderen emanzipierten Künstlerinnen unseres Jahrhunderts. Jeannine Fiedler

Eva Besnyö. Budapest/Berlin/Amsterdam. Photographien 1930-1989 nur noch bis zum 2. Februar im Verborgenen Museum, Schlüterstraße 70, Charlottenburg. Der Katalog zur Ausstellung kostet 20 DM.