SOMNAMBOULEVARD — WIE FINDE ICH HIN? Von Micky Remann

Wie Du weißt, ist dies keine Nachricht über den, sondern aus dem Traum, wobei für viele neu sein dürfte, daß es Nachrichten aus dem Traum überhaupt gibt.

Umgekehrt erhalten wir natürlich auch Nachrichten von „drüben“, wie zum Beispiel diese Anfrage von Frau V. aus dem Wachzustand: „Was kann ich tun, um Sie auf dem Somnamboulevard zu besuchen, ohne daß ich das im Traum verschlafe?“ Das ist ganz einfach, Verehrteste, solange Sie zwei Dinge beherzigen: Erstens, Sie müssen träumen. Zweitens, Sie müssen während des Traumes wissen, daß Sie träumen. Immerhin gelingt Ihnen Punkt eins schon ganz gut, soweit wir das von hier überblicken können, wohingegen es bei „zweitens“ noch hapern dürfte.

In diesem Sinne folgender methodischer Rat, der zwar rabiat klingt, dafür aber zuverlässig wirkt: Trinken Sie, liebe Frau V., ab heute mittag nichts mehr. Den resultierenden Durst möchten Sie bitte nicht als störend empfinden, denn er ist erwünscht und Mittel zum Zweck. Kurz vorm Zubettgehen nehmen Sie zur Steigerung noch einen Teelöffel Salz zu sich. Nun erst füllen Sie ein Glas mit Wasser, stellen es auf den Küchentisch — aber ohne auch nur daran zu nippen! Statt dessen schauen Sie sich das Glas eindringlich an und sagen: „Wenn ich das nächste Mal dieses Glas Wasser sehe, weiß ich, daß ich träume.“ Mit diesem Mantra im Kopf und dem Salz im Mund schlafen Sie ein, tief, fest und höllendurstig, was zur Folge hat, daß das Thema Ihres Traums höchstwahrscheinlich DER DURST sein wird. Prompt kommt Ihnen das bereitgestellte Wasser in den Sinn, Sie stehen auf — im Traum! — und gehen zur Küche. Kaum haben Sie dort das Glas erblickt, wird Ihre Eigenprogrammierung aktiv, und es dämmert Ihnen: „Moment mal, da war doch was? Ja, genau: Ich wollte mich beim Wasserglas erinnern, daß ... träume ich? Ja!

Hurra! Das heißt erstens, ich träume dieses Glas und weiß zweitens, daß ich es träume, und ergo befinde ich mich in einem Klartraum!“ Gratuliere, das haben Sie prima gemacht, wenn Sie es so gemacht haben werden. Doch was geschieht nun? Die meisten, die an diesen Punkt der Luzidität gelangen, entscheiden sich zu fliegen. Das geht, weil Sie jetzt die Freiheit haben, Traumverlauf und -handlung selbst zu bestimmen, denn das macht ja den Unterschied zwischen Trübtraum und Klartraum aus. Vielleicht wollen auch Sie wie ein Ballon in die Höhe steigen, rücklings in der Küche herumschweben oder wie die bezaubernde Jeannie ab durch die Wand sausen?

Tun Sie's, Frau V., und fliegen Sie so lange über die Stadt, bis Sie den Somnamboulevard gefunden haben, um bei uns Hallo zu sagen. Ist alles keine Schwierigkeit, solange Sie die Klarheit ihres Traumbewußtseins bewahren und sich nicht vor lauter Freude wieder einlullen lassen, wie es somnambulen Anfängern oft widerfährt. Und meinen Sie ja nicht, daß jetzt, da Ihr Geist erwacht ist, der Körper das auch tun müßte. Eben nicht.