Wenn Akademiker klatschen

„Heiße Schwenks und scharfe Schnitte“, Dienstag, West3, 20.45 Uhr  ■ Von Harald Fricke

Friedrich Nowottny, das sanftmütig lächelnde Programmoberhaupt der ARD, ist wahrscheinlich auch privat ein prima Mensch, der sich abends gerne dezenten Humor antut. Mit der neuen von W3 produzierten Home- Video-Show ist seinen Leuten nun ein ähnlich großer Coup gelungen wie Anfang der siebziger Jahre mit der Sesamstraße.

Computeranimiert flog der zu vergebende „Wohnzimmeroskar“ durchs Bild. Eine Art Arbeiterbuddha im Zechen-Realismus. Gleich darauf trat Samy Orfgen die kleine Show-Treppe herunter, und die erste wirklich menschenfreundliche Sendung des deutschen Fernsehens nahm ihren Lauf. Die neue Auszeichnung wurde in einer 45minütigen Live-Studioshow an das lustigste und skurrilste Heimvideo verliehen.

Samy Orfgen gab sich in ihrem Fernsehdebüt als Vollprofi mit Schnauze, ganz Grande Dame aus dem Pott. Der rheinische Akzent holperte ihr nonchalant von der Zunge, und auch die Anspielungen auf die wohlgeratene Körperfülle ließen sie fast wie die Nachfolgerin von Helga Hahnemann erscheinen, wenn auch manchmal untergründig Verruchtheit einer Romy Haag aufblitzte. Vor allem aber machte sie die ganze Sendung hindurch ohne jeden Anflug von Peinlichkeit den Leuten vor dem Bildschirm und den Jungfilmern im Studio Mut, ihre Kleinst-Epen doch an das Fernsehen zu schicken.

Damit aber nicht der immergleiche Schwachsinn eingesandt werde, mit dem die privaten Sendeanstalten in der Vorabendbrotzeit die Werbefans quälen, haben die Macher des WDR ein Konzept für die Erstellung der Homevideos vorgegeben. Es gilt, berühmte Szenen aus Spielfilmen oder Fernsehklassikern nachzuspielen. Damit entfallen etwa 90Prozent des biederen Vergnügens, für das der zynisch witzelnde Dieter Hallervorden auf Sat.1 dem geldgierigen VHS-Filmer jedesmal 500 Mark „bar auf die Kralle“ verspricht: Keine Schwiegermütterwitze, keine Kinder, die spontan gefilmt und wohl ausgeleuchtet von der Schaukel geschubst werden.

Statt dessen bekommt man ein gutes Dutzend Variationen der Klavierszene aus Casablanca zu sehen. Spiel's noch einmal Sam. Von einer irrwitzigen Travestie, einem zum Flamencogitarristen mutierten Barpianisten bis zur Blockflötenvariation eines christlichen Jugendvereins reichte das Spektrum. Als zweite Möglichkeit wurde die Badewannennummer mit Herrn Müller-Lüdenscheidt aufgegeben, mit echten Darstellern anstelle der Strichmännchen. Damit war der Wahnsinn im Hobbyfilmer entfesselt worden: Zwei Männer in einer Badewanne! Prompt gab es eine tuntige Auslegung in Strapsen, aber viel komischer waren zwei Schmierbäuche, die nicht gemeinsam in der kleinen Wanne abtauchen konnten. Der Zuschlag ging aber an einen Buben, der monologisierend den Streit allein ausspielte und den Text vergaß.

Als besonderen Höhepunkt kann man sich auch für den Fernsehklassiker entscheiden: Sportschau, Tagesschau oder Das Wort zum Sonntag. Diesmal war es Die Wettervorhersage. Die eingesandten Beiträge waren hervorragend. Zwar erinnerten sie immer auch ein wenig an die Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule, aber der Biß und Pfiff, mit dem ein Großteil der Akteure zur Sache ging, war schlechtweg grandios. Das honorierte auch das Studiopublikum — die Kamera fuhr immer wieder auf das Gesicht eines Studenten zu, der mit Koteletten, Kurzhaarfrisur und Kassenbrille den akademischen Touch der Sendung verstärkte. Als Karin Tietze-Ludwig, Deutschlands Lotto-Ikone, die Bühne betrat, ließ auch er seiner Ergriffenheit freien Lauf, und unter das Klatschen mischten sich ein paar Tränen ob der langen Jahre ausbleibenden Glücks. Sie verkündete mit heiserer Stimme die Aufgabe für die nächste Folge: Wer wolle, der/die könne selbst einmal die Moderation der Glückszahlen steppend oder wie-auch-immer darstellen. Als Alternative dazu kann man sich ansonsten zwischen einer Sexszene aus Die Frau in Rot mit Gene Wilder und einer Tanzszene von Marilyn Monroe mit Ukulele aus Manche mögen's heiß entscheiden. Als Preis winkt neben dem güldenen „Wonneproppen“ auch eine Rolle beim Fernsehen. Waltraud Borchmann aus Gütersloh gewann am Ende den Oskar in der Sparte „originellste Idee und lustigste Darstellung“ mit ihrer Interpretation der Wetterkarte, vor der sie hüpfend im Wohnzimmer als Wetterfrosch getanzt und gereimt hatte, wie einst Lucie aus der Bettwurst. Sie darf nun in der Lindenstraße mitspielen.