Der Rapper Ice Cube kommt im Februar auf Tournee  ■ Von Dieter Roeschmann

Wenn es in den letzten Jahren überhaupt eine gemeinsame Basis von schwarzen Kids in den USA und europäischen Pop-Konsumenten gab, dann war es Rap Music und HipHop. Die Verbindlichkeiten, die hier auf den Platten von Boogie Down Productions bis hin zu A Tribe Called Quest geschaffen wurden, versprechen — egal, ob vor dem Hintergrund mystischer, sozialistischer oder gangster- mäßiger Haltungen — immer auch soziale Befreiung. Sie waren, bis zu einem gewissen Grad, auch für weiße Turnschuhträger attraktiver. Während dafür in den achtziger Jahren der Begriff „Street Credibility“ einstand, scheint der HipHop von heute allerdings mehr und mehr in einem rein schwarzen Black-Muslim- Fundamentalismus aufzugehen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nation Of Islam (N.O.I.), eine radikale Sekte, die durch den notorischen Antisemitismus ihres „leaders“ regelmäßig in die Schlagzeilen gerät. Mit ihren derzeit rund 800.000 Mitgliedern ist sie alles andere als eine marginale Splittergruppe bornierter Spinner. In ihrer relativen Größe zeigt sich eher das starke Bedürfnis nach einer Befreiungsphilosophie, die eine wie auch immer geartete Vereinnahmung durch Nicht- Schwarze von vorneherein ausschließt.

Ähnlich wie zu Beginn der siebziger Jahre, als eine ganze Reihe von Free-Jazzern zum Islam konvertierte, erfreut sich die N.O.I. heute auch innerhalb der HipHop-Szene einer wachsenden Beliebtheit. Gruppen wie X-Clan lassen nicht nach, der „Nation“ auf ihren Platten für „wisdom“ und „guidance“ zu danken, das kleine HipHop-Label Hollywood Basic nahm vor kurzem den rappenden Jugendbeauftragten der Sekte Prince Akeem unter Vertrag, und auch Public Enemy — selbst bereits vor zwei Jahren wegen wiederholter homophober und antisemitischer Ausfälle ihres damaligen Mitglieds Professor Griff im Kreuzfeuer der Kritik — machen nach wie vor keinen Hehl aus einer Sympathie für Louis Farrakhan.

Diese auf den ersten Blick sonderbare Beziehung zwischen einer Sekte, die die Überlegenheit der „schwarzen Rasse“ predigt, und der hierzulande ja zu recht als eher anti- rassistisch und emanzipatorisch wahrgenommenen HipHop-Bewegung ist nicht unbedingt zufällig. Nicht nur, weil sich die affektgeladene Schlichtheit der N.O.I.-Dogmen und ihre Fähigkeit, Medien- Stars wie Farrakhan hervorzubringen, als durchaus pop-kompatibel erwiesen hat. Auch ihre Neuinterpretation des Islam ist auf den gleichen Raum zugeschnitten, in dem HipHop von Beginn an die Position eines Mediums für unterdrückte Wahrheiten, eines Nachrichtenorgans besetzt hält. Hier im Ghetto, wo sich ein Großteil der Schwarzen trotz Überwindung des Kolonialismus keine Chancen auf baldige Freiheit ausrechnen kann, ist die N.O.I. in einer perfektionierten Form zum Träger von „street knowledge“ geworden. Die praktische Arbeit, die sie vor diesem Hintergrund leistet, ihre Anti- Drogen-Kampagnen und Education- Programme, erzielen größere Erfolge, als es ähnliche Programme der Regierung jemals konnten.

Die verbleibende Lücke zwischen der experimentierfreudigen Radikalität des HipHop und einer den Unmut schwarzer Jugendlicher kanalisierender N.O.I.-Bürokratie hat der kalifornische Rapper Ice Cube vor kurzem mit seiner aktuellen LP Death Certificate auf einzigartige Weise geschlossen. Auf dem Cover der LP empfiehlt er: „The best place for a young black male or female ist the N.O.I.“ Daneben posiert er zwischen seinen Freunden vom Produktionskollektiv Lench Mob und einer uniformierten Delegation der Sekte. In seinen Händen das N.O.I.-Zentralorgan 'Final Call‘ mit der Überschrift „Unite Or Perish“ — Einheit oder Untergang.

Die Einheit, erklärt er in einem Interview mit dem amerikanischen Magazin 'The Source‘, sei nur zu erreichen, „when we get that white man, really, out our heads“. Er setzt dabei auf die identitätsstiftende Kraft der kulturellen Differenz, die durchgehend auf allen Stücken der LP in einer Absolutheit herausgestellt wird, wie sie die weiße Kultur andererseits permanent zu verdecken sucht. Während diese Haltung auch für hiesige Subkulturen noch teilbar erscheint (deren Strategien ja immer auch radikale Abgrenzung bedeutet), führt sie bei Ice Cube jedoch zu einem kruden Separatismus, der jede Auseinandersetzung verweigert und in seinen verbindlichen Aussagen über das Schwarz-Sein zugleich eine Unzahl neuer Rassismen mitproduziert.

Ein krasses Beispiel auf Death Certificate ist der Titel Black Korea, der wegen der darin enthaltenen aggressiven Angriffe auf Koreaner für den europäischen Vertrieb gestrichen wurde. Das Stück bezieht sich auf ein Ereignis im Frühjahr 1991. In Brooklyn sollte ein koreanischer Lebensmittelhändler eine schwarze Kundin belästigt haben. Innerhalb kürzester Zeit organisierten mehrere Aktivisten und Initiativen des Viertels einen unbefristeten Boykott des Geschäfts. Unter ihnen auch Sonny Carson, ehemaliges Black-Panther- Mitglied und Mitinitiator einer Buy- Black-Kampagne, die inzwischen von zwei Dritteln der schwarzen Bevölkerung mitgetragen wird.

Auf Black Korea kommentiert Ice Cube die Ereignisse mit der heraufbeschworenen Vision eines Brooklyn, das zwar ausschließlich von Schwarzen bewohnt, von Koreanern und Japanern aber hemmungslos ausgebeutet und kontrolliert wird. „They doing nothing but building.“ Seine Vorwürfe erinnern an eine Bemerkung, die Sonny Carson einige Wochen zuvor in der unter Schwarzen äußerst beliebten Gary Byrd Radio Show fallengelassen hatte. „Als die Juden unser Viertel verließen“, hatte er zu verstehen gegeben, „haben sie dafür gesorgt, daß nur solche Leute ihre Läden bekamen, die die Betrügerei fortsetzen würden.“

Carsons Behauptung blieb unwidersprochen. Sie war nicht die Ausnahme, sondern gab die unausgesprochene Position des schwarzen Mainstream wieder. Erst als Ice Cube den koreanischen Händlern auf Black Korea drohte, ihre Geschäfte niederzubrennen, falls sie dem schwarzen Volk nicht den angemessenen Respekt zollten, kam es zum Skandal. Seine Angriffe auf Frauen (Look Who's Burnin), Schwule (Horny Lil' Devil) und Juden ( True To The Gang) standen dabei gar nicht erst zur Debatte.

Angesichts einer Situation, in der ein Drittel aller schwarzen Familien bereits unterhalb der Armutsgrenze lebt, Drogen und Arbeitslosigkeit die Selbstauflösung der Communities in einem absurden Tempo vollziehen und die Opfer der auch im letzten Jahr wieder medienwirksam gestiegenen Mordrate zu nahezu 70Prozent Schwarze oder Hispanos waren, wird diese extremistische Haltung des Mainstream wenn nicht entschuldbar so doch verständlich. Ice Cube formuliert auf Detah Certificate nichts anderes als das bei der schwarzen Bevölkerung verbreitete Gefühl, Opfer eines fortgesetzten Betrugs zu sein.

Das ist zwar mehr und direkter als auf den meisten HipHop-LPs zu hören ist, verabschiedet sich aber auch von jeder Möglichkeit der Kritik. Ice Cubes bestätigende Konkretisierung des Mainstream, des Massengefühls, ist mehr als fragwürdig. In ihr wiederholt sich auch die Unfähigkeit der Masse, in der Radikalisierung der Zustände Widersprüche überhaupt noch als solche zu erkennen. Sie werden nicht mehr vermittelt, sondern verschwinden unter einem Wust von Verschwörungstheorien, die neue Pardoxien nach sich ziehen. Daß diese kaum weniger gewalttätig sind als die des herrschenden Systems, läßt sich leicht ausrechnen. Titel wie Kill Uncle Sam, die sich konsequenterweise nicht in erster Linie gegen die weißen „devils“ als Repräsentanten von Herrschaft, sondern gegen deren Opfer richten, illustrieren es obendrein drastisch.

Eines leistet Ice Cube mit Death Certificate dennoch. Daß er seine Thesen zur Radikalisierung des Massengefühls, zur „mental revolution“, direkt aus dem ideologischen Repertoire der N.O.I. bezieht, verpflichtet ihn zwar auch auf alle minderheitenfeindlichen und anti-emanzipatorischen Tendenzen, die man bei jedem Fundamentalismus mitverkauft bekommt, verdeutlicht andererseits aber in aller Klarheit, wie weit er den Bruch mit allen Weißen zu vollziehen bereit ist. Nämlich ganz.

Konzertdaten von Ice Cubes Europa-Tournee in der Bundesrepublik: 3.2.: Hamburg, 4.2.: Düsseldorf, 9.2.: München, 19.2.: Berlin, 20.2.: Frankfurt. Als Support Act vorgesehen: YoYo/Paris.