Wintertagung des Deutschen Atomforums in Bonn
: Töpfer verschafft der Atomkraft ein Zuhause

■ Bundesumweltminister Töpfer hatte die Probleme der Atomlobby schon im Kabinett gelöst: Die Plutoniumfabrik Hanau darf wieder angefahren werden...

Töpfer verschafft der Atomkraft ein Zuhause Bundesumweltminister Töpfer hatte die Probleme der Atomlobby schon im Kabinett gelöst: Die Plutoniumfabrik Hanau darf wieder angefahren werden. Und eine neue Daseinsberechtigung gibt's auch: Mit deutscher Atomtechnologie sollen sowjetische Atomwaffen verschrottet werden.

AUS BONN MANFRED KRIENER UND GERD ROSENKRANZ

Die deutsche Atomindustrie schwankt nach wie vor zwischen Zukunftsängsten und neuer Euphorie. Bei der alljährlichen winterlichen Einkehr der Zunft — im diesmal Greenpeace-belagerten Bonner Hotel „Königshof“ — wurde aber konkret wie lange nicht mehr ein Termin für den Bau des nächsten Atomkraftwerks genannt: Unmittelbar nach der Bundestagswahl 1994 soll der Standort bestimmt und das Genehmigungsverfahren eingeleitet werden. Siemens/KWU-Manager Adolf Hüttl terminierte den ersten Spatenstich auf Mitte 1998.

Das schönste Gastgeschenk hatte dem Auditorium Bundesumweltminister Töpfer mitgebracht. Während vormittags im „Königshof“ der Hanauer Siemens-Mann Helmut Pekarek noch „Solidarität“ im Kampf gegen die rot-grüne hessische „Verunsicherungs- und Ausstiegspolitik“ einforderte, schritt Töpfer im Regierungsviertel schon zur Tat. Im Bundeskabinett holte sich der Minister grünes Licht für das Wiederanwerfen der Hanauer Plutoniumschmiede der Weltfirma Siemens. Zusätzlich bestätigte Töpfer Überlegungen, die Hanauer Technologie bei der Behandlung der militärischen Hinterlassenschaft des Atomzeitalters anzubieten. Hunderte von Tonnen Plutonium müßten beseitigt werden.

Nicht ganz so leicht hatte es Töpfer am Nachmittag im Saal. Versteinert mußte der Minister zunächst seiner eigenen Ankündigung vom Ausstieg lauschen. Geheimdienstmäßig organisiert, drang aus einem Greenpeace-Koffer im Tagungssaal Töpfers eigene Stimme an des Ministers Ohr: „Abschalten, abschalten, abschalten...“ Erst danach konnte der Minister dann vor der versammelten Atom-Mannschaft den Beifall für Vollzug einheimsen. „Nebenbei habe ich heute die Weisung im Kabinett durchgebracht, die inzwischen an Hessen abgeschickt worden ist.“

In einer eigens anberaumten aktuellen Stunde war der Fall Hanau zuvor zum entscheidenden Schlachtfeld für die Atompolitik erklärt worden. „Hier geht es um die Zukunft der Kernenergie in Deutschland und um den Rechtsstaat“, beschwor Pekarek die Atomgemeinde. Mit Hanau als Hebel probe Hessen den Ausstieg. Sie verunsichere damit nicht nur die Hanauer Kunden, gefährde 2.000 Arbeitsplätze und die Produktion von jährlich 180.000 Brennstäben. Sie stelle damit grundsätzlich die gesamte Republik als Standort für Atomanlagen in Frage. Eine Bonner Weisung müsse in dieser Situation helfen, die führende Stellung der Hanauer Betriebe zu erhalten. Das allein genüge aber noch nicht. „Zusätzliche Maßnahmen“ seien notwendig, um atomkritische Bundesländer auf Kurs zu bringen.

Der Streit um das hessische Brennelementewerk trifft die Atomwirtschaft in einer empfindlichen Phase der Neuorientierung. „Perspektiven der Kernenergie“, lautete nicht zum ersten Mal das Bonner Tagungsmotto. Die Klimadebatte, die Energiepolitik der EG und der neue Markt im Osten stehen dabei im Mittelpunkt. Doch Treibhauseffekt und Klima-GAU bleiben für die Branche weiter nur Mittel zum Zweck: der Atomenergie auch in Zukunft ein Zuhause zu geben.

Wie sich Energieversorger und Kraftwerkbauer die Zukunft vorstellen, wurde gleich von mehreren Rednern skizziert. Tendenz: schwindelerregend. Ob Kohle-, Gas-, Öl- oder Atomenergieverbrauch: alles steigt — inklusive Thermometer und Meeresspiegel. Besonders eindrucksvoll schilderte Hans Jacobi, Vorstandsmitglied bei der Ruhrkohle AG und Präside im Deutschen Atomforum, die Hochrechnungen der einschlägigen Energie-Agenturen und -Experten. Die von Klimaforschern und der Enquete-Kommission geforderte Energiewende war in seinem Szenario nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Im Gegenteil: Der Weltenergieverbrauch werde schon bis zum Jahr 2005 um etwa ein Drittel (!) auf 17,3 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten zunehmen.

An eine Reduktion von klimagefährdenden Gasen ist nach solchen Szenarien nicht mehr zu denken. Sie werden weiter anwachsen. Auch eine Kohlendioxid-Abgabe in der Bundesrepublik könne diese Entwicklung nicht aufhalten, sagte der Kohlemann. Trotz Treibhauseffekt und Sparappellen werde bei einer dramatischen Zunahme des globalen Energieverbrauchs die ganze Welt auch weiterhin vorwiegend auf fossile Energieträger setzen. Die „saubere Atomenergie“ werde ihren Anteil von sechs Prozent nur halten können, wenn der heutige Bestand an Atomkraftwerken in den nächsten beiden Jahrzehnten um 150 bis 200 neue Meiler erweitert wird. Vom Referenten war die Vision der Klimarettung durch Atomenergie zuvor allerdings auf ihren realen Gehalt zurechtgestutzt worden. In dieser Energiezukunft gibt es keine Zukunft für den Planeten. Statt dessen droht ein ungebremster Anstieg des Verbrauchs und der Klimagase, bei gleichzeitigem Zubau von mindestens 150 neuen AKWs.

Vor allem der Chef der Bayernwerke, Jochen Holzer, zückte dennoch die Treibhaus-Karte. Die „entscheidende ökologische Dynamik“ erhalte die Atomenergie „von der globalen Klimadiskussion“. Auch bei den Gegnern der Atomenergie führe dies „zu immer mehr Nachdenklichkeit“. Als Kronzeugen präsentierte Holzer den Club of Rome, der in seinem neuesten Bericht seine Skepsis gegenüber der nuklearen Option aufgegeben habe.

Neben der Klimagefahr präsentierte Holzer eine Reihe weiterer Treibsätze für die Atomenergie. Wichtige Impulse erhofft er sich vor allem aus dem Ausland. Energiepolitik werde zunehmend eine internationale Aufgabe, und hier stehen die Atomsterne günstig. Der Ausstieg Schwedens aus dem Ausstieg, der Atomkurs der Industriemacht Japan mit ihrer wichtigen Vorbildfunktion, die Kooperation mit dem westlichen Nachbarn und Strom-Marktführer Frankreich, die neue „Europäische Energiecharta“: überall sieht Holzer freundliche Signale.

Als wichtige Zukunftsoption und umweltpolitische Chance bezeichnete Holzer die Zusammenarbeit mit Osteuropa. In den ehemals sozialistischen Ländern werde die Atomenergie angesichts des ökologischen Ruins durch fossile Energieträger als kleineres Übel akzeptiert. Sowohl bei der Nachrüstung der laufenden Anlagen als auch beim Neubau von Atommeilern erwartet man milliardenschwere Aufträge. Schnelle Hilfe ist notwendig, denn ein zweites Tschernobyl könne sich die Atomwirtschaft als internationale Risikogemeinschaft nicht leisten. Holzer verlangte die Abschaltung aller Atomkraftwerke vom Tschernobyl- Typ und die Ertüchtigung der übrigen Anlagen auf ein „akzeptables Sicherheitsniveau“. Bei der Finanzierung der Atompläne im Osten dachte Holzer erneut über eine Rückzahlung durch Stromlieferungen nach. Voraussetzung dafür wäre ein einziges gesamteuropäisches Stromnetz. Allerdings: Auch das verschlingt einen zweistelligen Milliardenbetrag.