You‘re welcome to the Cabaret

■ Der irische Sänger Christy Moore lud zum Heimatabend ins Quartier

Wer wissen möchte, wie viele Iren in einer Stadt leben, braucht nur zu einem Christy-Moore-Konzert zu gehen. Niemand, der von dieser grünen Insel stammt, läßt sich den Auftritt jenes Mannes entgehen, der wie kein anderer die zeitgenössische irische Musik geprägt hat. Kaum ein berühmter Musiker aus Dublin, Cork oder Galway, der ihn nicht als maßgeblichen Einfluß für sein musikalisches Schaffen nennt. Ob Sinead O'Connor, U 2, Mary Coughlan, die Waterboys, sie alle fühlen sich dem Sänger mit der Stimme, die so warm ist wie ein Torffeuer an einem kühlen Novemberabend in den Wicklow Mountains, verpflichtet.

In Irland besitzt der vierschrötige Mann mit den klobigen Händen eines Totengräbers so etwas wie einen Heiligenstatus. In manchen Gegenden vermeidet er es, in einen Pub zu gehen, weil sofort alle Gäste vor Ehrfurcht erstarren, keiner mehr den armen Musiker, der gerade auftritt, eines Blickes würdigt und jeder nur noch darauf wartet, daß der musikalische Halbgott endlich selbst zur Gitarre greift und eines seiner unsterblichen Lieder anstimmt. Hinterher wird dann noch lange von jenem Abend erzählt, an dem Christy da war, und wenn der Wirt Glück hat, war jemand mit einem Fotoapparat zugegen, hat das historische Ereignis auf die Platte gebannt und der Kneipier kann fortan seinem Umsatz mit einem Moore-Foto hinter dem Tresen, direkt neben der heiligen Jungfrau, um ein Vielfaches steigern.

Außerhalb Irlands war die Popularität Christy Moores lange Zeit eher gering und beschränkte sich auf die Gemeinde der Gälophilen. Viele kannten zwar die Gruppe Planxty, mit der er in den siebziger Jahren über den Kontinent tourte, und einige auch die Moving Hearts, die den Rockboom in Irland einleiteten; lange Zeit jedoch war kein Veranstalter bereit, Moore als Solokünstler nach Deutschland zu holen. Erst vier ausverkaufte Konzerte im letzten Jahr schufen die Voraussetzung für die ausgedehnte Tournee, die er derzeit in Deutschland absolviert.

Mittlerweile ist sein Ruhm auch nach Deutschland gedrungen und wer es versäumt hatte, sich rechtzeitig eine Karte zu besorgen, durfte wieder nach Hause gehen. Das Quartier Latin war brechend voll, als Christy Moore mit einer dynamischen Version von Jackson Brownes »Before The Deluge« — »ein guter Song, um die Nervosität loszuwerden« — seinen Berliner Auftritt begann. Das Programm war fast identisch mit dem des letzten Jahres, die alten Evergreens wechselten mit Pogues-Klassikern und Stücken von der neuesten wohlgelungenen Platte »Smoke and Strong Whiskey«, das launige »Welcome to the Cabaret« zum Beispiel, das in Irland die Schafe von den Weiden blöken.

Glanzlichter seiner Solo-Vorstellungen sind neben den polternden Parforce-Jagden durch musikalische und sprachliche Labyrinthe vor allem die ruhigen, getragenen Stücke wie »Ride On« oder »Missing You«, denen die Intensität seiner Stimme und die einfühlsame Gitarrenbegleitung eine emotionale Tiefe verleihen, die bis in die Haarspitzen wirkt. Zumindest, wenn es einigermaßen ruhig ist im Saale.

Doch unseligerweise sind die Freunde irischer Musik gleichzeitig äußerst lärmzugewandt. Sie klatschen gern neben dem Takt, singen lauthals mit, am liebsten falsch, quatschen ausgiebig und achten akribisch darauf, daß der Barbetrieb nicht einschläft. Alles Dinge, die Christy Moore abgrundtief haßt. In den kleinen Sälen Irlands hat er die Situation stets im Griff und bricht auch mal rigoros mitten im Lied ab, um vorwitzige Klatscher, Sänger oder Volksredner zum Schweigen zu bringen. Im ausladenden Quartier stand er jedoch auf verlorenem Posten. Ein paar Kids an der Bühne konnte er noch stoppen, gegen den Höllenlärm, der vom Tresen im Hintergrund durch den Raum brandete, war aber auch er machtlos. Da klimperten die Flaschen, polterten die Eiswürfel und es wurde munter drauflosgeschwatzt.

Ihm gefalle die Ernsthaftigkeit, mit der das Publikum in Deutschland seinen Liedern zuhöre, hatte Christy Moore gesagt. Ins Quartier Latin zumindest waren etliche aus ganz anderen Gründen gekommen. Sie hatten offensichtlich 26 Mark bezahlt, um sich endlich mal in Ruhe unterhalten zu können. Matti Lieske