»Holocaust-Tourismus« in Wannsee-Villa

■ Im »Haus der Wannsee-Konferenz« drängeln sich Tausende Besucher/ Für die Bildungsarbeit fehlt es jedoch an pädagogischen Mitarbeitern

Berlin. Die Gedenkstätte »Haus der Wannsee-Konferenz« wird seit der Eröffnung am 20. Januar von Besuchergruppen regelrecht überrannt. In den vergangenen zehn Tagen besuchten etwa 5.000 Menschen die ständige Ausstellung, verlangten Führungen und baten um weiterführende Informationen. Der Ansturm bringt das Haus in Schwierigkeiten. Denn es gibt zu wenig pädagogische Mitarbeiter und qualifizierte Honorarkräfte, die ad hoc solch heterogene Gruppen, wie zwölfjährige Schüler auf »Wandertag«, Gewerkschafter auf Bildungsurlaub, Volkshochschulkurse auf Berlinbesuch oder amerikanische Einzeltouristen durch die Ausstellung begleiten können.

Ohne die sechs ehrenamtlichen und sich täglich abwechselnden Mitglieder von »Aktion Sühnezeichen« wäre der Betrieb schon längst zusammengebrochen, sagt Annegret Ehmann, Leiterin der Bildungsarbeit. Und Betreuung ist notwendig, weil es bisher weder einen Ausstellungskatalog noch Blätter mit vertiefenden Erklärungen, geschweige denn eine fremdsprachliche Übersetzung der Bildunterschriften gibt. Annegret Ehmann fordert deshalb mehr pädagogisches Personal, andernfalls meint sie, drohe das hochgelobte Bildungskonzept, nämlich ein »Lernort der Geschichte« zu sein, zu einer Art »Holocaust-Tourismus« zu verkommen.

Die Personaldecke ist im Bereich der Bildungsarbeit in der Tat dünn und droht noch dünner zu werden. In der beschlußfassenden Senatsvorlage vom April 1991 war noch die Rede von fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern, einschließlich Leiterin, wenige Monate später wurde eine Planstelle gestrichen, die Restlichen von BAT 2 A auf Sachbearbeiterstellen heruntergestuft. Nicht gekürzt hingegen wurde das anspruchsvolle Programm. Für 1992 sind im einzelnen geplant: 250 Ausstellungsführungen mit anschließendem Gespräch oder Film, 80 Tagesseminare, 40 Bus-Exkursionen nach Sachsenhausen und Ravensbrück, 30 Mehrtagesseminare mit eventueller Exkursion nach Auschwitz und ein wissenschaftliches Symposium. Für die Vorbereitung und Durchführung dieses Mammutprogramms stehen Sachmittel in Höhe von 125.000 Mark und zusätzliche Honorare in einer Höhe von 70.000 Mark zur Verfügung. Zum Vergleich, die Verwaltungskosten betragen 945.000 Mark, fast ein Drittel des Gesamthaushaltes von 2,6 Millionen Mark.

Derzeit wird im Haus der Finanzplan für 1993 diskutiert. Er soll im Sommer von der Kulturverwaltung, die ab April für die Gedenkstätte zuständig ist (jetzt noch die Senatskanzlei), abgesegnet werden. In diesem Finanzplan wurden zwar die Honorare für Zeitarbeitskräfte auf 120.000 Mark erhöht, dafür aber das Bildungsprogramm intensiviert. Ab 1993 wird das Programm noch erweitert, die Exkursionen werden verdoppelt. Wie diese Arbeit zu schaffen ist, ist Ehmann schleierhaft, zumal für die Koordination und Organisation aller Veranstaltungen nicht einmal eine Schreibkraft zur Verfügung steht. Jetzt sind die Sonntagsreden vorbei, sagt sie bitter, und anstatt Qualität scheint nur noch die Quantität gefragt zu sein. aku