Das Comeback des Geistes in der Natur

■ Der englische Biologe Rupert Sheldrake plädiert in seinem Buch „Die Wiederkehr der Natur“ für einen neuen Animismus

Wir leben, wird oft gesagt, im Zeitalter der Naturwissenschaften. Wie kommt es aber, daß ausgerechnet zur Blütezeit dieser Wissenschaften die Natur derart heruntergekommen ist, daß ihr der baldige Exitus droht? Es scheint, als ob das vielfältige Faktenwissen, das wir über die Natur angesammelt haben, ihr selbst überhaupt nicht zunutze kommt. Im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, daß die Natur nicht trotz dieses Wissens stirbt, sondern an diesem Wissen.

Wenn in unserem Privatleben von Natur die Rede ist, verbinden wir damit Vorstellungen von ländlicher Idylle, von Wäldern und Wiesen oder unberührter Wildnis. Von Kind an fühlen wir uns zu Tieren und Pflanzen hingezogen, die in unseren Mythen und Märchen als beseelte, sprechende, denkende Wesen erscheinen — und diese mythische lebendige Einheit von Mensch und Natur ist noch in unseren modernen Metropolen zu spüren: Millionen von Städtern träumen davon, möglichst jede freie Minute auf dem Land, in der Natur zu verbringen. Dieser Wunsch nach einem Aufgehobensein in einem lebendigen Zusammenhang — der „freien“ Natur — kollidiert auf merkwürdige Weise mit unserer wissenschaftlichen Betrachtungsweise — die meisten Wissenschaftler, Ökonomen und Ingenieure gehen wie selbstverständlich davon aus, daß die Natur unbelebt ist, ein Objekt, dessen Ressourcen erschlossen und genutzt werden müssen und dessen einziger Wert der Marktwert ist. Das Aufkommen der Ökologie hat an diesem Grundsatz im Kern wenig verändert: Zweck der Natur ist nicht ihr einfaches lebendiges Da-Sein, sondern ihre Funktion als überlebensnotwendige Um-Welt des Menschen.

Gleichsam durch die Hintertür aber hat sich die Natur wieder in das Denken der Menschen eingeschlichen — und die Wissenschaft, die den Ruf der Berge, Wälder und Tiere als irrationale, romantische Schwärmerei abgetan und überhört hat, beginnt plötzlich, das Leben, die Seele, den Geist der Natur wiederzuentdecken.

Geist und Lebenskraft in der Naturwissenschaft

In seinem Buch Die Wiedergeburt der Natur beschreibt der englische Biologe Rupert Sheldrake diesen Prozeß der Wiederentdeckung: wie die Wissenschaft zuerst die animistische Naturbetrachtung zerstörte, wie sie die Natur in ihre Einzelteile zerlegte und zu erklären versuchte, doch dann dazu übergehen mußte, jedes dieser selbstgeschaffenen Einzelteile in Frage zu stellen, einschließlich ihres Konzepts der Wirklichkeit selbst. Was letztlich blieb, um die mechanistische Welt-Maschine zusammenzubauen, hatte sich in Schwingungen, Felder, „Strukturen von Aktivität“ aufgelöst: „Erneut wird in den Wissenschaften die Natur jetzt als etwas sich selbst Organisierendes gesehen. Nur wird diese Organisation nicht mehr von einer Weltseele und allen Einzelseelen bewerkstelligt, sondern von einem ,universalen Gravitationsfeld‘ und allen in ihm enthaltenen Feldern anderer Art.“

Was nützt es in dieser Weltsicht der Wissenschaft, neben der Mechanik der Natur auch ihre Seele anzuerkennen? Sheldrakes Antwort ist klar: Anhand von Beispielen aus der Biologie, Physik und der Chaos-Forschung zeigt er, daß die moderne Naturwissenschaft längst schon wieder von Seele, Geist oder Lebenskraft spricht, etwa wenn sie bei der Frage der Evolution von „genetischen Programmen“ redet: „Und so behaupten die meisten Biologen zwar immer noch, Mechanisten zu sein, aber letztlich ist das Paradigma der modernen Biologie doch eine ziemlich kryptische Form von Vitalismus, in dem die organisierenden Vitalfaktoren einfach anders genannt werden, zum Beispiel ,genetisches Programm‘ oder ,egoistisches Gen‘.“

Der Vitalismus — der Glaube an die Existenz einer schöpferischen Lebenskraft — und mit ihm die alte animistische Naturtheorie finden, so Sheldrake, zu neuer Respektabilität. Der alte Wissenschafts-Streit zwischen Mechanismus und Vitalismus verschiebt sich zugunsten eines organischen, ganzheitlichen Ansatzes: „Wenn das mechanistische Weltbild nach wie vor die orthodoxe Doktrin der industriellen Zivilisation ist, so einfach deshalb, weil das einstweilen noch am einfachsten ist.

Aber die Zweifel an der mechanistischen Landwirtschaft und Medizin wachsen, die Vision von der Unterwerfung der Natur verliert ihren Glanz, und das Klima ändert sich — im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Daß die Lebendigkeit der Natur geleugnet wird, hat seinen wichtigsten Grund vielleicht darin, daß die Annahme des Gegenteils ungeheure Konsequenzen hätte. Wir könnten mythische, animistische und religiöse Denkweisen nicht länger ausgrenzen. Was bevorsteht, ist nichts Geringeres als eine Revolution.“

Argumente nach fernöstlicher Art

Sheldrake plädiert nicht für ein nostalgisches „Zurück zur Natur“, sondern für eine neue, transdisziplinäre Wissenschaft auf der Höhe der Zeit. Und er tut dies anders als in seinen beiden vorhergegangenen Büchern. Dort hatte er seine heiß umstrittene Theorie der „morphischen Resonanz“ — die Hypothese, daß die Formenbildung von selbstorganisierten Systemen wie Molekülen, Zellen oder Organismen von Schwingungsfeldern organisiert sind — der herrschenden Meinung in der Entwicklungsbiologie mit scharfen Argumenten entgegengestellt. Sein drittes Buch ist kein solcher Frontal-Angriff, vielmehr versucht Sheldrake, seine Gegner auf eher fernöstliche Art zu schlagen, indem er die Kraft ihrer eigenen Bewegung ausnutzt. Mit Erfolg. Abgesehen von den letzten Abschnitten des Buchs— über mystische Erfahrungen, heilige Plätze und die Kraft des Gebets — die in Form eines etwas pathetischen religiösen Manifests des Autors daherkommen, hält dieses Buch genügend streng wissenschaftliche Argumentationsketten parat, um auch agnostische Leser zu bestechen und Sheldrake-Kritiker einmal mehr zur Weißglut zu bringen — denn die Antworten auf seine Fragen sind nicht einfach zu finden. Und man macht es sich zu leicht, es wegen seines Schlußkapitels als religiösen Traktat über die Heiligkeit der Natur einfach vom Tisch zu wischen. Der neue Animismus, den Sheldrake anbrechen sieht, ist keine Sache naiven Glaubens mehr — er ist ein Gegenstand des Wissens. Mathias Bröckers

Rupert Sheldrake: Die Wiedergeburt der Natur , Scherz-Verlag 1991, 286 Seiten, 38DM