Brasiliens mächtige Verbündete

■ Der erhoffte Spaziergang in die zweite Runde des Tennis-Davis-Cups gerät zur Höllentour/ Die Hitze und der miserable Platz zehren an den Nerven

Rio de Janeiro (dpa) — Die verletzungsbedingte Absage des Weltranglisten-Dritten Michael Stich, mehr aber noch die offen zur Schau gestellte Wut des deutschen Davis- Cup-Teams über die Hitze und den Zustand des Platzes hat im Lager der Brasilianer für neuen Mut gesorgt. „Wir haben eine Extra-Portion Selbstvertrauen erhalten“, freute sich Brasiliens Teamkapitän Paulo Cleto.

Es hat den Anschein, als hätten die Brasilianer das Vertrauen in ihre eigene Stärke erst dadurch wiedererlangt, daß Favorit Deutschland schon vor dem ersten Ballwechsel (heute, 14.00 MEZ) in Selbstzweifel verstrickt ist. Cleto hat die saure Miene seines Kollegen Niki Pilic ebenso wohlwollend zur Kenntnis genommen wie die Tatsache, daß ausgerechnet Boris Becker am meisten unter der Hitze leidet. „Bei 38 Grad fühlt man sich nach einer Stunde Tennis einfach beschissen“, klagt der auf Platz fünf der Weltrangliste abgerutschte Leimener. Seine Körpertemperatur, so hat Mannschaftsarzt Joseph Keul gemessen, schnellte nach den Trainingseinheiten auf fast 39 Grad hoch. „Im Match kann sie leicht über 40 Grad erreichen“, meinte der Mediziner. Dies aber sei ebenso wie der Verlust von ein bis zwei Litern Schweiß pro Stunde „unerheblich, wenn der Flüssigkeitsausgleich stimmt und der Verlust an Magnesium und Kochsalz ausgeglichen wird“. Trinken, trinken und nochmals trinken — so lautet deshalb die Devise Keuls, der Boris Becker wie auch allen anderen deutschen Tennis-Spielern eine „gute körperliche Verfassung“ bescheinigte.

Dagegen ist der Centre Court auf der Behelfsanlage im Barra Shopping Center südlich von Rio de Janeiro in einem erbarmungswürdigen Zustand. „Der Platz ist uneben, an der Grenze zur Regelwidrigkeit“, schimpfte Becker, und Pilic schlug in dieselbe Kerbe: „Viele Bälle springen nicht richtig. Die Linien sind aus Zement. Wenn der Ball da aufspringt, ist er nicht mehr zu berechnen.“ Das Gefälle von der Mitte zur Grundlinie betrage einige Zentimeter. Laut Becker der Grund dafür, warum seine Aufschläge im Training auffallend oft hinter der T-Line statt davor landen. Ein Veto bei Referee Stefan Fransson brachte nichts ein. Des Schweden Antwort: „Woher sollen wir einen anderen Platz bekommen?“

„Becker liegt dieser Platz überhaupt nicht. Um hier den Punkt zu gewinnen, muß man sehr lange arbeiten. Das ist nicht Beckers Spiel“, prophezeite Cleto und kam deshalb zu der Ansicht: „Objektiv stehen unsere Chancen 50:50. Ich persönlich glaube sogar, daß wir gewinnen werden.“ Cassio Motta, mit 31 Jahren der Senior im Team, sagte mit ausgestrecktem Finger in Richtung sengender Sonne: „Von der Papierform her sind wir zwar Außenseiter, aber wir haben einen mächtigen Verbündeten.“

Einen weiteren Rückhalt erwarten die Gastgeber durch das Publikum. Auf das abenteuerlich anmutende Stahlgerüst, ursprünglich für rund 7.000 Besucher geplant, sollen nun 10.000 Zuschauer gedrängt werden.

Angesichts der Bedingungen befürchtet der Stuttgarter Carl-Uwe Steeb „eine in jeder Hinsicht heiße Angelegenheit“, und er stützt sich in seiner Vermutung auf eine Auskunft des argentinischen Tennis-Profis Martin Jaite. Ihn hatte er gefragt, ob die Deutschen in Rio de Janeiro ein ähnliches Tollhaus zu erwarten hätten wie vor zwei Jahren bei der 2:3-Viertelfinal-Niederlage in Buenos Aires gegen Argentinien. Jaites Antwort: „Nein, das wird schlimmer. Die Brasilianer sind noch aggressiver und enthusiastischer als die Argentinier.“