: »Berlin braucht Inseln der Kunst«
■ Zweitausend bezahlbare Werkstätten fehlen/ Die Lösungsvorschläge des Atelierbeauftragten Kotowski
Sie heißen Struwe, Schulze, Kreuzer, Schrick und zählen zu jenen Berliner Künstlern, die neuerdings in kunstvoll gestapelten Pappkartons arbeiten. Wenigstens steht ihr Namenszug symbolisch drauf — eine visuelle Metapher ihres Protestes. Tatsächlich bleiben ihnen nicht mal die schlechteren Hundehütten: Ihr Atelier ist bereits gekündigt, oder sie können die explodierenden Gewerbemieten nicht mehr bezahlen. Die »Galerie im Frankfurter Turm« hat der »Initiative gekündigter KünstlerInnen« noch bis zum 15. Februar ein Demonstrationsforum zur Verfügung gestellt, das zugleich als Veranstaltungsort dient. Am vergangenen Freitag wartete der Atelierbeauftragte Bernhard Kotowski mit Lösungsvorschlägen zur Ateliernot auf, für die aber politischer Durchsetzungswille nötig sei. Kultursenator Roloff-Momin habe lange genug betont, ihm sei die Sache wichtig, »jetzt wird es Zeit, daß er auch mal Mittel für die Atelierförderung bereitstellt«.
Denn ohne Ateliers gibt's keine Kunst. Und was ist eine Stadt — erst recht eine, die als »Kulturmetropole« um zahlungskräftige Besucher wirbt — ohne Kunst? Eine Einöde, die nichts mehr hervorbringt, was in den mit Millionen subventionierten Museen hängen könnte, für Kotowski »eine Ansammlung von Steinhaufen aus Wohnungen und Dienstgebäuden«. Seine zunächst auf zwei Jahre befristete Stelle als Atelierbeauftragter konnte im Oktober 1991 dank Zuwendungen des Kultursenats erstmals besetzt werden. Doch als »Staatsdiener« fühlt er sich nicht; seine Aufgabe, für die »Machbarkeit von Kunst« einzutreten, sei beim Kulturwerk des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) angesiedelt.
Nach Kotowskis Angaben fehlen derzeit, »konservativ geschätzt«, etwa 2.000 Ateliers. In der Künstlerdomäne Kreuzberg stiegen die Gewerbemieten seit der Grenzöffnung um bis zu 400 Prozent, und mit dem neuen Jahr war auch die Schonfrist für die Ostbezirke vorbei. Nach Aufhebung der Preisbindung für Gewerbemieten forderten manche Vermieter bis zu 2.000 Prozent mehr. Selbst die unterste Preisgrenze von zehn Mark Kaltmiete pro qm könnten, so Kotowski, »90 bis 95 Prozent der Berliner Künstler nicht mehr bezahlen«. Schlimm seien nicht einzelne private Spekulanten, sondern der allgemeine Anstieg der Gewerbemieten. Auf keinen Fall dürften städtische Wohnungsbaugesellschaften auch noch zur Verdrängung der Künstler beitragen.
Beispiel Kreuzberg: Einer Gruppe von 22 Künstlern, die sich Ende letzten Jahres geschlossen weigerte, auf existenzbedrohliche Mieterhöhungen des Bezirksamtes einzugehen, flatterte zum 31. Dezember die Kündigung auf die Staffelei. Trotzdem sitzt noch niemand auf der Straße. Der eingeschaltete Volksbildungsausschuß gewährte Aufschub bis März, verbunden mit einer Anfrage an den Kultursenat, wie mit den Ateliers künftig zu verfahren sei. Nicht nur in diesem Fall muß Roloff- Momin bald Farbe bekennen.
»Wir haben seit mindestens zwei Jahren ein neues Problem, aber einen alten Kulturhaushalt«, sagte Kotowski. Nicht einmal ein Atelierfonds zur Kostenüberbrückung sei für 92 gesichert. Längerfristig hält er die Ateliernot nur durch jährliche Fördermittel des Finanzsenats in der Größenordnung von 10 bis 15 Millionen Mark für lösbar. Sie müßten einerseits für die Umrüstung von geeigneten Fabrikgebäuden zu Atelierhäusern, andererseits für den Neubau von Werkstätten genutzt werden. Diese sollten »Inseln der Kunst ohne Diktat der Gewerbemieten« sein. Darüber hinaus könne das Land Berlin Genehmigungen im öffentlichen Wohnungsbau an die Auflage binden, zwei Prozent der Fläche für Ateliers mit zehn Jahren Mietpreisbindung einzuplanen. Auch entsprechende Absprachen bei Verkäufen der Treuhand seien denkbar. »Das kostet keinen Pfennig«, betonte Kotowski. Ein weiteres Jahr »nur mit Ankündigungen und ohne Taten« werde die Kunstszene nicht verkraften.
So neu ist die Problematik wirklich nicht: Schon 1990 fehlten rund 1.000 Ateliers in den Westbezirken. Im gleichen Jahr gründeten Mitglieder des Berufsverbands Bildender Künstler Berlin (BBK) die »Initiative gekündigter KünsterInnen«, zu der längst auch Kollegen vom Verband Bildernder Künstler Berlin (VBK) gehören. Mit bislang neun spektakulären Aktionen in Museen machten sie auf ihre Notlage aufmerksam.
Pro Monat, so Kotowski, gingen bei ihm rund 30 Meldungen über Atelierkündigungen oder kündigungsgleiche Mieterhöhungen ein, »aber die Dunkelziffer liegt 100 Prozent höher.« Zu viele Betroffene resignierten still, anstatt den ausgefüllten Atelierbedarfsbogen bei ihm abzugeben — immerhin eine Chance, über die Atelierkommission des BBK eine freiwerdende Werkstatt zu erhalten. Kotowskis Büro in der Köthener Straße 44 bietet außerdem jeden Mittwoch von 17 bis 19 Uhr eine Rechtsberatung für KünstlerInnen an. Und im Zweifelsfall, meint der Atelierbeauftragte, »ist es immer noch billiger, den Rechtsanwalt zu bezahlen, als die Werkstatt zu verlieren.« Karin Dahlberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen