Ich kill dich, ich kill dich

■ Kommission von Polizei und Kutschern will Raubüberfälle auf Taxis unattraktiv machen/ Fahrgäste werden zunehmend aggressiv und machen häufiger Schwierigkeiten beim Zahlen

Ich kill dich, ich kill dich, ich kill dich«, keift ein Kneipengänger den Taxifahrer an, noch während der Betrunkene in den Wagen steigt. Der Chauffeur, 29jähriger Politologie-Student, schreit zurück. Der Fahrgast habe sich darauf ein wenig beherrscht, berichtet der Taxi-Jobber. Seit den über zwanzig Überfällen auf Kollegen in diesem Jahr würde es manchen Fahrgästen besonders Spaß bringen, Angst zu verbreiten, hat der Student festgestellt.

Die Geschichte, die der Aushilfskutscher in dieser Woche erlebte, ist kein Einzelfall. Passagiere seien zunehmend aggressiver, bestätigt Jochen Marquardt vom Verband des (Ost-)Berliner Taxigewerbes, in dem Unternehmer von 1.400 Wagen — in Berlin gibt es an die 7.300 Taxen — organisiert sind. Nur weil ein Fahrer sein Radio nicht lauter stellen wollte, er hätte den Taxi-Funk nicht mehr verstanden, seien ihm drei Zähne ausgeschlagen worden. Schnell zuschlagen würden in der Regel alkoholisierte Männer. Im Ostteil habe sich die Situation besonders verschärft, berichtet Marquardt. Der Interessenvertreter vermutet einen Zusammenhang mit der sozialen Situation: »Viele junge Leute sind arbeitslos und unterfordert«, es sei inzwischen ein Sport geworden, Kollegen mit dem Messer zu bedrohen.

Auch Holger Pätzeldt von den »West-Fahrern«, der Berliner Taxi- Vereinigung, muß sich »immer häufiger« anpöbeln lassen. Der 40jährige verdient seit siebzehn Jahren sein Geld auf dem »Bock« — seit einem Jahr müsse er immer öfter Mitfahrer raussetzen, weil sie nur noch provozieren wollten. Beispielsweise entbrenne ein regelrechter Kampf um die Lautstärke des Radiosenders. Andere Fahrer haben festgestellt, daß es auch beim Bezahlen häufiger zu Mißstimmigkeiten und Streitereien komme. Das Verhalten von Fahrgästen, die in dieser Woche die 90 Mark für eine Fahrt ins brandenburgische Caputh nicht zahlen wollten, weil Taxifahrer aus dem Nachbarbundesland für dieselbe Strecke nur 60 bis 70 Mark nehmen, sei inzwischen »typisch«, findet der 29jährige Politologie-Student.

Marquardt hofft, daß sich die Situation entspannt, sonst werde nachts — am Tage seien Mitfahrer nüchtern — niemand mehr fahren. Die Kutscher müßten untereinander ihre Hilfsbereitschaft stärken, vor Maueröffnung sei das Ostberliner Taxigewerbe eine große Familie gewesen, erinnert sich Marquardt. Am ehesten sieht er noch die Möglichkeit gegen die steigende Anzahl von Überfällen etwas zu unternehmen, »auch wenn wir kaum etwas machen können«. Seit Beginn dieser Woche fahren »Sicherheitsfahrzeuge« umher — Taxis, die bei einem Überfall sofort zum Tatort eilen.

Die Polizei konstatiert, daß in den vier Wochen soviel Taxen überfallen wurden, wie sonst in vier Monaten. Neuerdings werde nicht nur Geld, sondern gleich das ganze Fahrzeug geraubt, um damit zu flüchten. Eine »heiße Spur« gibt es offenbar nocht nicht. Der ermittelnde Kripobeamte berichtet lediglich von »Teilergebnissen«: Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien mehrere Überfälle von den gleichen Tätern begangen worden. Erfolg nur bei einem Fall am Anfang der Woche: Zwei 17jährige Jugendliche haben ihre Beteiligung gestanden. Sie hatten den Fahrer mit einem Messer verletzt und waren ohne Beute geflüchtet. Der Kripomann versteht die Räuber nicht: Es ginge — wenn überhaupt — um wenige hundert Mark, da es sich aber um bewaffnete Raubüberfälle handelt, müßten die Täter mit mehr als fünf Jahren Gefängnis rechnen.

Die »potentiellen Opfer« sollen jetzt jedenfalls besser geschützt werden. Gestern tagten erstmals Taxiverbände, Polizei und Vertreter der Verkehrsverwaltung. Die Kommission will dafür sorgen, daß »Tatanreize« abgebaut, Täter schneller erkannt werden und Fahrer sich besonnen verhalten, sagt Winfried Roll, Leiter der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle. Die Trennscheiben- Diskussion soll nicht aufs neue entfacht werden, erläutert der Kriminaloberrat, denn mit dem Glas würden Überfälle auf außerhalb der Droschke verlegt: »Zum Beispiel wenn der Taxifahrer an den Kofferraum geht.«

Die Fahrer seien gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens 50 Mark Wechselgeld dabei zu haben, »mehr sollten sie nicht bei sich tragen«, rät der Polizist. Auch habe die Studiengesellschaft Nahverkehr ein »überfallfeindliches« Forschungstaxi getestet. Es sei überlegenswert, ob in den Personenbeförderungswagen Tresore eingebaut werden, die nur an einer zentralen Stelle geöffnet werden können. Auch könnten Kopfstützen überdimensioniert werden, so daß sie einen Schutz gegen Angriffe auf den Kopf- und Halsbereich bieten.

Angesichts der steigenden Aggressivität und der Zunahme von Gewalt scheinen unter den Taxifahrern die bisherigen Probleme weit in den Hintergrund gerückt zu sein. Die Konkurrenz habe sich zwischen Ost- und Westfahrern nicht verschärft, und das Verhältnis zwischen beiden Gruppen sei »eigentlich nicht mehr belastet«, behauptet Pätzeldt. Seine Westvertretung wolle sich mit der aus dem Ostteil noch in diesem Jahr vereinigen. Dann würde der gemeinsame Verband Mitglieder von etwa 3.000 Taxen vertreten und sei damit genauso stark wie die Taxi-Innung.

Die Fahrgäste hätten sich inzwischen auch daran gewöhnt, daß ein Westkutscher sich im Ostteil oder ein Ostler im Westteil nicht so gut auskennen könne. Prügeleien unter Kollegen, die sich an den Halten am Flughafen Tegel oder Schönefeld nicht richtig angestellt hätten, sind auch Pätzeldt bekannt. Die Auseinandersetzungen seien allerdings kein spezielles Ost-West-Problem, es prügelten sich »durchaus auch nur Westkollegen«. Dirk Wildt